Zur Eröffnung sind beide Künstler bei Prüll und geben Einblicke in ihre Arbeitsweisen.
Das Archiv wird laufend ergänzt, auf dass es bald ganz aktuell ist. :-)
Für Monika Jakubec bedeutet Schmuck zu machen immer wieder ein Experiment.
Ihr Ziel ist es, eine ursprünglich abstrakte Konstruktionsidee in die Wirklichkeit umzusetzen. Das entstehende Schmuckstück ist ein Abbild dieser Idee und soll eine harmonische Einheit mit dem Menschen bilden, der es trägt. Ihr gestalterisches Hauptthema sind geometrische Grundformen: Kegel, Kugel, Zylinder und Röhren. Diese Formen werden kombiniert, vervielfältigt, durchbrochen, verbunden oder auf das einfachste reduziert. So entstehen wunderschöne, tragbare Objekte, die eine konsequente gestalterische Entwicklung präsentieren und doch jedes für sich seine eigene Lebendigkeit hat.
Für Cornelius Réer verdient eine gute Form eine gute Funktion, oder umgekehrt.
In seiner Nürnberger Werkstatt entstehen am Schmelzofen unterschiedliche Gefäßformen. Kennzeichnend für die von Cornelius Réer entwickelte Formensprache sind subtile Farbgebung, gute Funktion und entschlossene Formgebung. Ziel seiner Arbeit ist es, Dinge zu gestalten die sich in Hinblick auf Funktion, Ästhetik und Eindeutigkeit selbst erklären. Dem scheinbar einfachen Erscheinungsbild steht oft ein aufwändiger Gestaltungs- und Herstellungsprozess gegenüber.
Beide Künstler gestalten mit Form und Farbe und zeigen bei Prüll Ihre Werke zum ersten Mal gemeinsam in einer Ausstellung!
Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren und auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen zur Eröffnung der Ausstellung der Gruppe JAC hier in den Räumen des engagierten Galeristen Jürgen Prüll.
JAC ist ein Kürzel und bedeutet auf bayerisch Jewellery Art Concept – ein Name mit klingendem Flair. Tatsächlich hat die Gruppe JAC die Grenzen Oberbayerns schon gesprengt und spielt inzwischen auf in Schwaben, Niederbayern und heute in der Oberpfalz. JAC ist eine Gruppe von Goldschmiede und Schmuckgestaltern, die sich alle in der Akademie für Gestaltung und Design in München in Workshops zur Weiterbildung kennengelernt haben. Sie haben bei uns mit den Besten der Szene zusammen gearbeitet und von ihnen gelernt.
Die Akademie wird durch das Kommen aller Beteiligter, also den Dozenten und Studierenden gleichermaßen zu einem Freiraum, in dem Ideen diskutiert werden. Fernab vom beruflichen Alltag ermöglichen sich die Fachleute, Neues zu wagen und sich zu vernetzen. Der greifbare Teil dieser Begegnung sind die einzigartigen Schmuckstücke, die Sie nachher in der Ausstellung bewundern können. Das nicht sichtbare Ergebnis der Begegnung in der Akademie ist nahezu eine Idealkonstellation als Ertrag unserer Bildungsbemühung: Entstanden sind tragfähige Bindungen, basierend auf der wechselseitigen Hochachtung für die Arbeit und die Authentizität des anderen. Das hat den Anfang genommen im Rahmen der Kurse. Hier überzeugen und überraschen sich die Studierenden selbst, welche Riesen in ihnen schlummern, wenn die richtigen Katalysatoren zueinander finden.
Die Gruppe JAC trifft sich inzwischen alle 6-8 Wochen und diskutiert den neu entstandenen Schmuck im offenen Austausch. Diese Treffen sind meist Atelierbesuche bei den Kollegen und sie überlegen gemeinsamen den Ausgangspunkt für weitere Projekte.
z.B. entstand dort auch die reizvolle lange Box, in der nicht etwa die klassische Perlenkette aufbewahrt wird. Darin versteckt sich eine jährlich wechselnde limitierte Ausgabe von Unikaten unter dem passenden Namen „JAC in-the-box“. In der Schachtel präsentiert, reihen sich Ringe aneinander - von allen Gruppenmitgliedern je ein Schmuckstück pro Box - und bilden so einen schöpferischen und erschwinglichen Querschnitt des Schaffens der Gruppe JAC, ein Kürzel der jeweiligen Arbeit.
Die Zahl 5 spielt im kunsthandwerklichen Schaffen eine große Rolle: 5 Finger hat die Hand und jeder Finger steht für einen wichtigen Aspekt, der in der Arbeit berücksichtig werden muss:
JAC hat sich 2006 gegründet und setzte sich das Ziel, gemeinsam etwas zu erreichen, das außerhalb der Reichweite des Einzelnen liegt. Seither haben sie jährlich gemeinsame Auftritte auf der Internationalen Handwerksmesse hingelegt. Parallel zu ihrem gemeinsam konzipierten und gestalteten Stand auf der Handwerksmesse entstehen kleine Kataloge in denen jeder seine Interpretation des neuen Themas vorstellt. Heute kann – mit dem Etappenziel gemeinsamer Ausstellungen u.a. im Handwerksmuseum Deggendorf und hier bei Jürgen Prüll – dieses Experiment als sehr erfolgreich und JAC als glückliche Allianz betrachtet werden.
Bei JAC findet sich ein Gruppe von Individualisten zusammen. Brücken und Transfers auf sehr hohem Niveau sind entstanden:
Günther Block und Michaela Köppl haben eine starke Verbundenheit zu Glas und geben ihr Wissen auch als Lehrer weiter. In ihren Arbeiten spiegelt sich die Verbundenheit zum Glas wieder und mit sicherer Hand kombinieren sie intensiv leuchtende Farbe mit Edelmetall. Sie ziehen viel Freude aus ihren kreativen Experimenten und anscheinend haben sie dabei eine geheime Formel entdeckt. Es ist ihnen gelungen, dass sich diese Freude als pure Essenz in ihren Objekten speichert und beim Tragen wieder an die Umgebung abgegeben wird.
Christine Demmel ist berufliche Quereinsteigerin. Als Quelle der Inspiration nutzt sie die beneidenswerte Dynamik ihrer Zeichnungen, die sie ganz spielerisch in Material umsetzt. Frei von den gelegentlich einengenden Zwängen einer klassischen Ausbildung überträgt sie ihre Ideen in Metall und Keramik. Die zart abgetönten Oberflächen aus geschwärztem Silber und Email scheinen natürlich gewachsen zu sein.
Die Offenheit der Gruppe zeigt sich auch in räumlicher Hinsicht:
Jutta Assmann und lebt und arbeitet in Bremen. In ihren Arbeiten erobert sie aus der Fläche heraustretend den Raum. Reihungen und Additionen ergeben schmeichelnde Kompositionen und Bündelungen und kontrastierende Linien.
Ebenso Danuta Uhlig, eine gebürtige Schweizerin, die ihre Ausbildung in England absolvierte und kürzlich nach München zog, um hier zu leben und zu arbeiten. Das Sichtbarmachen von Gegenpolen fasziniert sie: in ihren Schmuckstücken verbindet sie Fülle mit Leere, Bewegung mit Ruhe, Strenge mit Leichtigkeit.
Susanne Holzinger holte sich den Appetit für ein weiterführendes Studium in der Akademie, um an der Universität in Birmingham mit dem Master of Art abzuschließen. Sie untersucht und behandelt Papier. Zum einen lagert sie Schicht für Schicht aufeinander: Farbebenen ergeben einen Eindruck, den wir aus sedimentären Ablagerungen zu kennen glauben. Sie formt den selbstgeschaffenen Rohstoff zu massiven Reifen und Broschen. Zum anderen raspelt sie Papier zu pudrigen Pigmenten und bestäubt damit einfache Formen. Doch seit Neuestem verbindet sie das Papierpigment ganz pur zu kleinen eigenständigen Objekten.
Sie gelernte Silberschmiedin Juliane Schölß studierte an der Kunstakademie in Nürnberg Schmuck- und Gerätgestaltung und besuchte parallel dazu Kurse bei uns. Sie ist die Jüngste der JACs und dennoch bereits hochdekorierte Partnerin der Gruppe, die mit ihrer Arbeit - sei es Schmuck oder Gerät - gleichermaßen überzeugt und begeistert. Ihre Stärke ist, aus einfachsten Formen hochdosierte Poesie, Charme und Leichtigkeit heraus zu destillieren, die sich auf die Netzhaut brennen. Mit ihren ungesehenen Silberassemblagen für den gedeckten Tisch überzeugt sie auch Puristen.
Ein anderes Spiel, das Spiel mit dem Maßstab beherrscht Kirsten Plank, die im Bayerischen Wald beheimatet ist. Ihre Kollektion nennt sie Freigeister und fasst somit die Haltung der gesamten Gruppe zusammen. In ihre legeren Collagen aus Gefundenem und Gemachten schmeichelt sie der Trägerin und ihre Arbeiten geleiten sie zu aufregenden Sensationen oder begleiten sie durch den Alltag.
Das Anknüpfen an traditionsreiche Techniken wie z.B. Granulation, die Königsdisziplin der Goldschmiede ist natürlich dennoch gestattet wie Susanne Elstner beweist. Sie versetzt ihre Arbeiten mit hauchzarten Goldkügelchen und strebt dadurch eine zeitgenössische Ausdruckform einer historischen Technik an. Doch statt nun auch klassischerweise Kohlenstoff in Form von Diamanten einzusetzen, erzeugt sie Holzkohle. Das magisch schwarz schimmernde Material verarbeitet sie schwarz in schwarz zu kostbaren Preziosen.
Kristina Kundt macht Arbeitsprozesse in ihren Schmuck sichtbar und entwickelt daraus eine ihr eigenen Ästhetik. Darüber hinaus untersucht sie in ihren Objekten den Widerstreit von Formenfindung versus Emotionen. Vermisstes oder verloren geglaubte Reminiszenzen, sperrige oder vielleicht verblassende Erinnerungen finden sich in ihrem Schmuck wieder und versöhnen sich zu einer kompakten Verdichtung.
Barbara von Teuffenbach ist frisch gelandet in der Gruppe der JACs. Ihre Faszination gilt der Oberfläche, indem sie haptische Erfahrungen und taktile Momente zu dünnsten
Häuten verwandelt. Sie stabilisiert die Membrane in Metall und derart verwandelt ziehen die Aufsehen erregende Schmuckstücke den Blick auf sich.
Auch Christoph Straube ist relativ frisch zu JAC dazu gestoßen. Er arbeitet mit Symbolen und spielt mit der Sehnsucht nach vertrauten Werten wie z.B. der Deutschen Mark. Doch er bringt sie nicht in Umlauf, sondern legt sie an die Kette. Blütenrein und unschuldig weiß erscheinen die Zitate und doch hängen Elemente aneinander gereiht wie an einem Bettelarmband.
Nochmal kurz zusammen gefasst: Schmuck von JAC ist tragbar, jedoch beschwert er nicht und trägt zur Leichtigkeit des Alltags bei. Er ist leicht erschwinglich und der Schmuck versetzt die Trägerin in Schwung. Mit diesem Schmuck bieten sie bei jedem Empfang den richtigen Gesprächsaufhänger und verfangen sich nicht in Banalem.
Schmuck wird erst dann seiner wahren Bestimmung zugeführt, wenn er am Körper getragen wird. Also – liebe Besucher: Lassen Sie sich bereichern von Schmuck, der nicht protzig aufträgt sondern das Selbstbewusstsein der Trägerin unterstreicht. Er macht keinesfalls dick - im Gegenteil, die ausgefallenen Schmuckstücke unterstreichen nur die Figur. Lassen Sie sich von JAC inspirieren und inspirieren Sie ihr Umfeld, durch Ihre souveräne Art mit Traditionen und Sehgewohnheiten zu spielen.
Barbara Schmidt, 2013
Es ist lohnenswert, sich anlässlich dieser Gelegenheit ein paar Gedanken über das Wirken in einem künstlerischen Handwerk zu machen:
Alle 5 Frauen haben eine einschlägige handwerkliche Ausbildung durchlaufen. Aber darüber hinaus zeugen ihre Arbeiten von intensiver und konzentrierter Weiterbildung.
Es ist nicht damit getan, Techniken zu erlernen. Das ist nur der erste Schritt. Das Ausbilden des bewussten Sehens, Offenheit gegenüber vielfältigen Anregungen, Umsetzung der eigenen Vorstellungen in Zeichnung und in Planung gestalteter Form erfordert hartes Studium. Erst das Zusammenspiel der verschiedenen menschlichen Fähigkeiten führt zu charaktervollen, eigenständigen Ergebnissen von Qualität. Des Menschen Geist, seine Bereitschaft, Dinge und ihre Eigenschaften zu erforschen, sie kritisch zu sehen, sich damit auseinander zu setzen und sie neu zu erfinden. Am Ende schließlich ist es die Geschicklichkeit der Hände, welche die Gegenstände für uns sicht- und nutzbar macht. Ebenso dazu gehört auch die Unterwerfung des technischen Fortschritts unter den eigenen Gestaltungswillen.
Prof. Franz Rickert, der nach dem Krieg die Gold- und Silberschmiedeklasse an der Münchner Akademie wieder zu neuem Leben erweckte und damit maßgeblich die Entwicklung dieses Handwerkszweigs in Deutschland beeinflusste, sah als Kernstück seiner Lehre die Synthese zwischen Künstlerisch-Handwerklichem und Technisch-Organisatorischem.
Getreu dieser Maßgabe haben diese 5 Frauen der Erstausbildung eine lange Zeit des Lernens angefügt, um das in Kopf und Hand reifen zu lassen, was Sie in diese Ausstellung bewundern können. –
Josephine Lützel orientiert sich gerne an modernen Architekturformen für ihre unkapriziösen Gegenständen des täglichen Lebens. Dabei ist ihr bei aller Schönheit die Funktionalität oberstes Gebot. Das Marmeladenschälchen mit Glasdeckel und Löffel zeigt mit selbstbewußter Eleganz was es ist und was es beinhaltet – die Kannen, Dosen, Schalen , oft drei oder viereckig, erheben sich in sanften Drehungen von der Unterlage. Durch die makellos gleißende Oberfläche des Silbers, oft im Wechsel mit perlmuttartigem mattem Glanz, gewinnen ihre Gefäße zusätzlich an Leichtigkeit und Zartheit. Zur Vervollständigung eines gediegenen Tischgedecks schlingen sich einfache Silberbänder schleifenähnlich um die Servietten.
Beate Leonards großes Thema ist der spielerische Umgang mit Rohren, die sie einschnürt, unterteilt und verformt, auseinanderzieht zu eleganten Vasen und Kannen oder nieder staucht zu pummeligen Bechern. Bewundernswert konsequent untersucht sie die vielen Varianten möglicher Unterteilungen mit harten Einschnitten oder weichen, weiblichen Übergängen in verschiedenen Dimensionen. So entsteht aus Silber, Tombak und Aluminium eine fröhliche Gesellschaft von Gefäßen , die sich gegeneinander in leichten Tanzbewegungen verschieben oder starr in den Raum ragen. Die Wahl des Materials macht Beate Leonards abhängig von der jeweiligen Charakteristik. In meiner Vorstellung mutieren sie alle zu eigenwilligen Persönlichkeiten, die selbstbewusst und funktionssicher unsere Gebrauchswelt bereichern wie Skulpturen einen Garten.
Annette Zey ist eine große Meisterin des klassischen Geräts. Ihre besondere Liebe und Aufmerksamkeit gehört jedoch ihren Schalen. Kleine geometrische Teile unterwirft sie in endloser Wiederholung durch vermeintlich chaotisches Aneinanderfügen einem großen Ganzen. Mal sind dies Würfel, mal kleine Walzen, oft aus Tombak, geschwärzt, in sich geschlossene oder auch selbst noch durchbrochene Elemente, die sie in großer Variations- und Formenvielfalt zu Schalen zusammen fügt, mal breit ausladend oder schmal und hoch. Die einzelnen Teile passen sich widerwillig, aber letztlich doch gefügig ein in die Gesamtform, lassen Durchblicke und zeigen manchmal auch eine vergoldete Innenseite. Die Farbe, ob Gold oder aber auch von den Gegenständen in der Schale (z.B. Orangen o.ä) gibt dem Ganzen eine luftige Leichtigkeit bei gleichzeitiger Schwere, einen besonderen Zauber von nicht mehr genau wissen, was innen, was außen, ob hohl oder voll. Die hier zu sehende Schale ist sogar doppelwandig .Sie spielt in wunderbarer Weise mit Licht und Schatten innerhalb und außerhalb, was das Verwirrspiel noch erhöht.
Katja Höltermanns Arbeiten sind wie Spiele. Ihre Becher schmiegen sich sanft aneinander und wachsen zusammen zu einer kleinen Gemeinschaft, trennen sich wieder und fordern uns auf, neue Kombinationen zu finden. Ihre Dosen sind untrennbar eins und doch zwei oder auch drei mit möglicherweise unterschiedlichen Inhalten, die sich gleichzeitig von mehreren Seiten bedienen lassen. Auch ihre Pfeffermühle, zunächst ein starrer Zylinder, lässt uns bei der Benutzung die geheimnisvoll freie Bewegung der einzelnen Ringe haptisch erforschen. Becher mahnen den Gastgeber, nachzuschenken durch bedenkliches Kippen, während sie in vollem Zustand gerade stehen. Formal bedient sie sich dabei einer technisch präzisen Sprache und stark reduzierter Formen. Bei ihren Entwürfen denkt sie wohl auch an eine mögliche serielle Umsetzung, was sie nicht daran hindert, ebenso weiter in herkömmlicher Handwerksweise zu arbeiten.
Die Formfindung fordert in allen Fällen sorgfältige und umfangreiche Vorarbeit. Skizzen, Zeichnungen und vor allem Modelle, die in verschiedensten Varianten, minimalen Abweichungen immer wieder getestet und überprüft werden bis endlich die Arbeit im Material beginnt. Von all dieser Mühe ahnen wir Endverbraucher in der Regel nichts .
Maike Dahl lässt uns davon noch etwas erleben. Bei Ihr findet ein Materialwechsel statt, der sichtbar bleibt. Labiles Papier wird zu stabilem Metall. Sie orientiert sich tatsächlich an Wegwerfgeschirr. „My best Chinese!“ wie eine mir bekannte alte Dame einmal ihre Papierausfertigung des Geschirrs humorvoll nannte. Auf solches nimmt Maike Dahl Bezug! Sie faltet, probiert aus, verwirft, macht neu, entscheidet und setzt um in hauchdünnes Silber, faltet genau wie Papier und lötet, was einige Erfahrung erfordert. Sie kommt so zu einem ungeheuren Reichtum unterschiedlicher Formen. Durch das Übereinanderlegen von Schichten bekommt das sehr dünne Silberblech genauso Stabilität wie Papier. Ihre Arbeiten sollen dem silbernen Gerät den Nimbus von Ritualstimmung und andachtsvoller Stille nehmen und es hineinbringen in den alltäglichen lärmenden Gebrauch. Mit einem Schmunzeln bekommen Becher für heiße Getränke zum Anfassen eine Bauchbinde aus Hanfschnur.
Die 5 Silberschmiedinnen zeigen hier auf beengtem Raum eine erstaunliche Vielfalt. Jeder von Ihnen ist es gelungen, eine charakteristische und unverwechselbare Formensprache zu entwickeln. Geistwerk und Handwerk fügen sich zusammen zu immer neuen überraschenden Lösungen.
Es würde mich freuen, wenn Sie Lust bekämen, diese wunderbare Ausstellung zu besuchen und Freude haben könnten an den spannenden und interessanten Arbeiten.
Bettina Sauerbruch-Meese , Stellvertretende Schulleiterin der Staatl. BFS für Glas und Schmuck Kaufbeuren-Neugablonz
Dass die Doppelausstellung in den Räumen der Galerie Prüll den Schwerpunkt auf die Keramik legt, erkennt man auf den ersten Blick: im Raum und im Fenster verteilen sich immerhin 22 vasenartige Objekte von Christine Wagner.
Dass wiederum die Häkelarbeiten von Karla Schabert nicht untergehen, oder erdrückt werden, liegt daran, dass sie geschickt an der Wänden in Vitrinen präsentiert werden, wodurch sie über den Vasen zu schweben scheinen.
Was haben wir vor uns?
Von Christine Wagner sehen wir nicht nur Vasen, sondern auch Schüsseln und Platten arrangiert auf Trocknungs-Paletten ihres Ateliers.
Den Ton, aus dem sie ihre Objekte formt, mischt sie selbst. Deshalb kann sie ihn sehr genau variieren: von sehr grob bis zu sehr fein, von recht hell bis zu verhältnismäßig dunkel.
Für ihr ausschließlich klares, strenges Formenvokabular bedient sich Christine Wagner der traditionellen Techniken: die runden Schüsseln, oder Schalen dreht sie an der Tonscheibe in der Aufbautechnik (wovon auch noch die waagrecht verlaufenden Rillen zeugen), während die anderen Formen, also die stelenartigen, blockhaften Vasen, aus gewalzten und ausgeschnittenen Tonplatten hergestellt werden.
Die, wie schon erwähnt, unterschiedlich groben Oberflächen werden mit Engoben (einer Art verdünntem Porzellan) überzogen. Das führt zu den reizvoll hellen Lasuren, die sich in den Vertiefungen der Oberflächenstrukturen sammeln. Diese Strukturen werden gern mal erweitert durch im Grunde zeichnerisch-ritzende Bearbeitung z.B. frei Hand, oder mittels Kämmen, oder Stempeln.
Im Inneren wird der Ton der Vasen und Schüsseln mit einer leicht eingefärbten Glasur wasserdicht abgeschlossen.
Karla Schaberts gehäkelter Schmuck hingegen entsteht folgendermaßen: die Künstlerin sucht sich handelsübliche Schmucksteine, die sich in einen bestimmten Formenkanon einfügen und umhäkelt sie auf feinste Art.
Die von ihr bevorzugten Formen der Steine sind Kugeln, Halbkugeln und Tropfenformen.
Durch Aneinanderreihen, oder eher Aneinanderhäkeln der einzelnen umhäkelten Steine erschafft sie Schmuckobjekte, die an klassischen Schmuck erinnern.
Dieser Eindruck kommt bei Karla Schabert nicht von ungefähr. In ihrem „Portrait-Projekt“ beschäftigte sie sich vor einigen Jahren damit, Darstellungen von Schmuck auf Frauenportraits der Kunstgeschichte zu analysieren und detailgetreu nachzuempfinden.
Aus diesem Projekt übernimmt und variiert sie heutzutage die Formensprache und verändert zusätzlich die Materialität eben durch Umhäkelung mit teilweise stark farbiger, dünner Wolle. Aus harten, glänzenden, gefassten Edelsteinen werden weiche, manchmal richtig bunte Schmuckobjekte.
Diese klassisch assoziierbaren Formenakkumulationen beeindrucken sowohl durch die Feinheit des Handwerks, als auch durch die unverkrampfte Schönheit der Formen. Es entsteht ein ironisches Spiel mit Formen und Anklängen, das sich durch Leichtigkeit und Heiterkeit vom herkömmlichen Schmuckverständnis abgrenzt.
Christine Wagner hingegen arbeitet eher aus einem minimalistischen Verständnis für Form, Material und Funktion heraus. Das heisst, sie versucht nicht über die Grenzen des Materials und der Funktion ihrer Objekte hinauszugehen, sondern bewegt sich streng innerhalb der Form-, Material- und Funktionsgrenzen und erweitert diese konsequent.
Dabei wirken ihre Vasengruppierungen, besonders in der Aufstellung bei Prüll, fast wie eine Skyline aus Wolkenkratzersilhouetten. Wie Variationen der Architekturformen „Block“ und „Wolkenkratzer“ werden hier Bestandteile und Proportionen durchdekliniert. Aber auch an einen archaischen Wald aus Stelen erinnern die gerade aufstrebenden Gebilde.
Die Funktion als Vase bleibt dabei in jedem Objekt offensichtlich, ohne sich aufzudrängen. Die Öffnungen befinden sich unauffällig klein und schmal im oberen Abschluss jeder Vase.
Aber auch bei Christine Wagners Objekten gibte es Auflockerung, Leichtigkeit. Wenn sie nämlich die schon erwähnten Oberflächenbehandlungen mit kammgezogenen Linien (was fast wie Fensterreihen in den Wolkenkratzern anmutet), oder frei Hand geritzten Blumenstrukturen anwendet, dann entstehen Notenzeilen aus Blüten, oder lebendige Unperfektheiten, die man durchaus poetisch, meditativ nennen kann.
„Wiederholung und Variation“ sind das gemeinsame Thema beider Künstlerinnen.
Immer ist die neue Stele in geringem Maße anders, als die vorangegangene; das Gehäkelte differiert, wenn auch nur minimal, allein schon aus handwerklichen Gründen, in jedem neuen Schmuckstück.
Nie lässt sich eine Vase exakt wiederholen, eine Zeichnung genau so noch einmal machen.
Der Reiz des erkennbar Handwerklichen, der jedes Teil zu einem wertvollen Einzelstück macht, hat hier, in einer kommerziellen Galerie, auch einen klaren Nachteil. Er drückt sich durch die roten Punkte aus. Denn, was weg ist, ist weg.
Oliver Boberg
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, Ihnen heute in diesem zauberhaften Ambiente des Schmuckateliers Pruell etwas über Haiku erzählen zu dürfen. Natürlich werde ich Ihnen einige meiner Haiku vorstellen.
Herzlichen Dank, Herrn Prüll, für die freundliche Einladung. Ich weiß, dass Frau Anastasia Poscharsky-Ziegler vom „Neuen Tag Weiden“, die meinen literarischen Werdegang von Anfang an begleitet hat, den Anstoß dazu gab.
Ich betrachte es als Ehre, die heutige Ausstellung 36, die den beiden Künstlern Frau Margit Jäschke und Herrn Georg Dobler gewidmet ist, eröffnen zu dürfen.
Manchmal gerate ich ins Schmunzeln, wenn ich als Haikudichterin bezeichnet werde. Ich schreibe nämlich Lyrik und Prosa. Es gibt von mir 7 Bücher, davon 2 Haikubände mit den Titeln: „Wortraum“ und „Paradies Plitvice“. „Paradies Plitvice“ ist anlässlich eines internationalen Literaturfestivals in Kroatien entstanden. Die Haiku im Buch sind in Deutsch, Englisch und Kroatisch zu finden. Die Photos dazu habe ich bei meinem Besuch des Weltnaturerbes im Plitvicer Seengebiet gemacht.
Sie dürfen sich meine Bücher gerne ansehen.
Meine Haiku wurden und werden immer wieder auch in Anthologien veröffentlicht.
Die Haikudichtung ist sozusagen mein „Lieblingskind“.
Rüdiger Heins, der Gründer des INKA-Institutes für Kreatives Schreiben in Bad Kreuznach, hat in seinem Vorwort zu meinem Haikubuch „Wortraum“ geschrieben:
„Haiku-Gedichte sind zarte Aquarelle, die mit den Farbnuancen der Worte zu Papier gebracht werden. Haikudichter und -dichterinnen bedienen sich dieser kürzesten Form der Dichtkunst, die wir in der Literaturgeschichte kennen, um Gefühle, Gedanken, Erkenntnisse, Naturimpressionen und Fantasien zu Papier zu bringen.“
Und er fährt nach weiteren Ausführungen fort:
„Die lyrische Form des klassischen Haiku, in einer Textkulisse von drei Zeilen, beschränkt sich auf siebzehn Silben (erste Zeile fünf Silben, zweite Zeile sieben Silben, dritte Zeile fünf Silben). Sie hat in Japan eine lange Tradition, wobei sich die Anfänge der japanischen Lyrik im Niemandsland der schriftlosen Vorzeit verlieren. Erst mit der Einführung chinesischer Schriftzeichen im Jahre 375 n. Chr. wurden die ersten poetischen Fragmente japanischer Dichtkunst zu Papier gebracht.
Der Begriff Haiku bedeutet im Japanischen Uta, wörtlich übertragen: Gesang - ein Hinweis darauf, dass Haiku-Gedichte ein rhythmisches Klangerlebnis mit Sprache sind....“ (soweit Rüdiger Heins)
Im 17. Jahrhundert etablierte einer der berühmtesten Haiku-Dichter, Bashô, das Haiku in der heute noch üblichen Form und dem charakteristischen Inhalt. Er transportierte das Haiku aus der weltlichen Kulisse in spirituelle Sphären. Für ihn war das Dichten innerhalb einer begrenzten Textkulisse eine buddhistische Übung auf dem Weg ins Nirwana.
Der Japanologe, Prof. Dr. Ekkehard May, der maßgeblich daran beteiligt war, dass eines meiner Haiku beim 1. Deutschen Internethaikuwettbewerb 2003 den 3. Preis erhielt, betrachtet als die wichtigsten Kriterien für ein klassisches Haiku neben der Silbenzahl den Jahreszeitenbezug, eine Zäsur (so eine Art Trennungswort) und den Nachklang.
Ich habe Ihnen die damalige Auszeichnung – ein Schmuckstück, ein Haikuköpfchen – extra zu meinem Haiku gefertigt - mitgebracht. Sie können es sich hernach gerne ansehen.
So genau – wie Prof. Dr. Ekkehard May - nimmt man es in der heutigen deutschen Haikudichtung nicht mehr, zumindest, was die Silbenzahl angeht und den unbedingten Jahreszeitenbezug.
Auf jeden Fall sind Haiku literarische „Momentaufnahmen“.
Eigentlich entfalten Haiku erst ihre Kraft, wenn man sie selber in Ruhe liest. Es sollen sozusagen eigene Bilder vor Ihren Augen entstehen, die in den meisten Fällen nicht mit denen des Dichters identisch sind.
Das ist bei einer Lesung, in der Haiku an Haiku gereiht wird, fast nicht möglich.
Deswegen werde ich kurz eine Situation beschreiben.
Stellen Sie sich vor:
Sie genießen einen lauen Sommerabend im Freien – natürlich nicht allein und blicken traumverloren in den Nachthimmel.
Möglicherweise könnte dann folgendes Haiku entstehen.
Im Liebestaumel
nach den Sternen greifen und
die Venus treffen
Falls es das Glück mit Ihnen einmal nicht so gut meint, könnte ein Haiku vielleicht so aussehen:
Paradiesträume
zerplatzt im Regenbogen
der Seifenblase
Mit meinem Haiku
Wie Perlenschnüre
gleiten durch mein Gedächtnis
Erinnerungen
möchte ich sie haikugemäß durch die Jahreszeiten führen:
Abschied und Beginn
Zwei Jahre berühren sich
im VorübergehnSanft wecken Strahlen
wenn Vogelstimmen jubeln
Der Frühling ist daAuf dem Fensterbrett
Buchstaben
im BlütenstaubPfingstferien
Ein Kranz aus Gänseblümchen
in Omas HaarMohnblüten zittern
wenn die Blätter fallen
ins PfefferminzduftbettZwischen Männertreu
und fleißigem Lieschen
ein VergißmeinnichtRegenschauer
inmitten des Blumenbeets
atme ich SommerSand in meiner Hand
zerrinnt zwischen den Fingern
so wie Zeit vergehtBlechkarawanen
weisen den Weg nach Süden
für die ZugvögelBuntes Ackerfeld
Der Klatschmohn unterhält sich
mit der KornblumeNoch warm die Sonne
Kühler Herbstwind schüttelt
halbnackte BäumeKartoffelfeuer
Leuchtende Kinderaugen
wenn Drachen steigenSpinnwebentage
und Friedhofslichter weisen
AllerSeelenGangGestern und heute
Stunden, Tage und Jahre
vereint Geschichte
Zum Abschluss ein Experiment – zwei Haiku – die zu Bildern von Schmuckstücken von Herrn Dobler, die sie bei dieser Ausstellung bewundern dürfen, entstanden sind:
Glieder und Formen
Am knospenden Zweig erstrahlt
glasklare Schönheit
Auf Perlensuche
Die Königin gefunden
bereits vergeben
Und nun möchte ich Sie nicht mehr länger auf die Folter spannen.
Lassen Sie sich verzaubern von den einzigartigen Werken der Künstler Margit Jäschke und Georg Dobler.
"Ich liebe, in meine Talerchen zu springen, wie ein Maulwurf darin herumzutauchen und sie mir auf die Glatze prasseln zu lassen" - sagt Dagobert Duck.
Ach ja, wie gern würden wir es ihm nachmachen, so ein erfrischendes Talerchen-Bad zu nehmen und dann mit den goldenen Geldstückchen in das Geschäft am Unteren Markt zu gehen, um sich an dem einen oder anderen Schmuckstück zu erfreuen.
Wo wir gerade bei _Schmuck_ sind: Neueste Forschungen weisen darauf hin, dass sich Menschen bereits vor 100.000 Jahren mit Muscheln schmückten. Später - das heißt in der Altsteinzeit - kamen dann mehrgliedrige Halsketten dazu - aus Muscheln, Schneckengehäusen, Tierzähnen, Fischwirbeln und Perlen. Oder sie arbeiteten Knochen und Bernstein um.
Eine Vielzahl an Formen und Gestaltungsmöglichkeiten also damals bereits. Als dann Kupfer, Bronze und sogar Gold ins Spiel kamen, wurde die Formenvielfalt noch weiter entwickelt: Spiralröllchen, Plättchen, Metallperlen, Ringe und Scheiben wurden verarbeitet. Warum ich das alles erzähle? Vielleicht interessiert sie das - und vielleicht sehen sie auch beim Betrachten der Arbeiten der beiden Künstlerinnen, dass das Spiel mit Form, Farbe und Material noch immer ein große Rolle spielt.
Doch zunächst ein Wort zu Jürgen Prüll: Ganze sieben Jahre hält er jetzt schon in Weiden durch - Hut ab dafür!
Ich denke, er selbst hatte nicht geglaubt, dass er sich hier so etablieren würde. Denn inzwischen hat er sich nicht nur - wie man so schön sagt - in Weiden einen Namen gemacht. Nein: auch aus Regensburg, Amberg, Nürnberg kommen die Menschen, die wissen, dass es hier kleine und feine Preziosen zu sehen - und natürlich auch zu erwerben gibt.
_/Schmuck und Gerät /_sind nicht nur zwei Begriffe, sondern stehen auch für ein besonderes Konzept. Jürgen Prüll ist nicht nur Galerist und Geschäftsmann, sondern auch Künstler - was er viel mehr in die Öffentlichkeit bringen sollte. Und als solcher hatte er die Idee von der Künstlerselbstvermarktung, das heißt, dass er auf seinen 21 Quadratmetern ein Forum für angewandte zeitgenössische Kunst geschaffen hat. Dazu gehören Schmuckmacher, Keramik- und Glaskünstler, Hutmacher aber auch Bademoden-Designerinnen - ein breites Spektrum eben!
32 Ausstellungen waren es bislang. Heute wird die 33. eröffnet.
Eingeladen hat er zwei Frauen - Andrea Frahm und Ursula Gnädinger - und alle drei - also inklusive Jürgen Prüll - haben eine gemeinsame Philosophe: Philosopie (griechisch) bedeutet soviel wie Liebe zur Weisheit, also auch Liebe zu Weißgold, Liebe zum Gestalten, zum Spielen, zum Formen...
Und diese Philosopie, diese Formenvielfpalt, dieses Gestaltungsspiel können sie, verehrte Gäste, in der - wie immer feinen Ausstellung betrachten.
_Andrea Frahm:_ Ohr, Hals, Arm, Hand - das sind ihre Arbeitsfelder, auf denen sie ihre Fantasien spielen lässt. Klingt zunächst anatomisch, birgt aber unwahrscheinlich viel Handlungs- und Gestaltungsfreiraum. Ein unendliches Spiel mit Formen und Farben kennzeichnet ihre Arbeiten und - wenn es stimmt, was ich gelesen habe, dass sie eine begeisterte Taucherin ist, dann sieht man sofort, woher sie sich ihre Inspirationen holt. Es ist - wie schon vor tausenden von Jahren auch hier die Natur, die sie beeinflusst, die ihren Kreationstrieb anschiebt. Mit einer Leichtigkeit, wie man sie nur aus der Unterwasserwelt kennt, fügt sie sie Perlen zu Colliers und Armbändern zusammen, verwebt sie und schmückt damit - nicht nur -Handgelenke und den Hals. Blattformen, Kreise, Spiralen - korallenförmig verwoben, windspielartig oder einfach luftig komponiert sind Markenzeichen ihrer kreativen Tätigkeit. Sie inszeniert das, was sie in der Natur sieht - ob oben oder unten - , neu und dokumentiert so den Reichtum der Natur - als einmaliges und edles Schmuckstück.
_Ursula Gnädiger:_ Sie sagt über sich "Ich gestalte im Spannungsfeld zwischen Körper, Bewegung, Form und Licht. Voluminöse prägnante Formen, die ihren "eigenen Raum" mit ihrem Träger erzeugen und dadurch Bewegung lebendig werden". Auch bei ihren Arbeiten kommt die Bewegung ins Spiel. Schmuck nicht als klunkerlose Form, die an irgendeinem Körperteil herabhängt. Sondern Schmuck als Veredelung des jeweiligen Körperteils. Ihre Arbeiten haben - auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag - eine gewisse Leichtigkeit. Sie überzeugen durch die Kombination von Form und Farbe des Materials - das meist Silber ist. Doch sie bevorzugt am liebsten einen "Metallmix". Edelstahl wird mit Feingold beschichtet: Hart und Weich treffen dabei aufeinander, verschmelzen ineinander, kombinieren sich - auf sinnliche Weise. So kommt auch Sinnlichkeit, ja sogar eine gewisse Erotik mit ins Spiel. Verführerische Formen im lustvollen Dialog mit dem Körper.
Ich hoffe, ich habe ihnen mit meiner - hoffentlich nicht zu langen Einführung - auch Lust auf die Objekte gemacht, wünsche den Künstlerinnen weiterhin viel Erfolg, Jürgen Prüll weiterhin solch guten Geschmack bei der Auswahl der Künstler, noch viele Ausstellungen und erkläre den Abend hiermit eröffnet!
Stefan Voit
Alexandra Bahlmann absolvierte eine klassische Lehre zur Goldschmiedin in Düsseldorf bei Peter und Marte Hassenpfennig, ihre erste akademische Ausbildung erhielt sie in Holland, am Gerrit Rietveld Instituut in Amsterdam (1984-87), anschließend studierte sie in der inzwischen legendären Goldschmiedeklasse von Hermann Jünger an der Akademie der Bildenden Künste in München (1987-90). Sie hatte Lehraufträge an der Rhode Island School of Design, Providence Rhode Island, und an der Burg Giebichenstein in Halle.
Alexandra Bahlmann wurde mit renommierten Preise wie dem Herbert-Hofmann-Preis, München, dem Bayerischen Staatspreis, München (1990), dem Förderpreis der Stadt München (1992), dem Bayerischen Staatsförderpreis für junge Künstler, München (1994) und dem Hessischen Staatspreis für das Kunsthandwerk, Frankfurt (1996) ausgezeichnet.
Der Schmuck von Alexandra Bahlmann, meist Halsschmuck und Ohrringe, ist fein, zart, weiblich. In ihren ersten Arbeiten setzte sie sich mit dem Thema Reihung auseinander. Ihre frühen Schmuckstücke waren streng, zugleich konnte man schon damals ein verspieltes Moment nicht übersehen. Nie wirkten die aneinander gereihten Elemente langweilig, stets wurde mit ihnen eine Spannung aufgebaut, die aber in sich sehr harmonisch war. Dieses Prinzip setzt sich bis heute fort, in veränderter Form, aber immer Alexandra Bahlmann.
Die zentralen Faktoren in Alexandra Bahlmanns Schmuckentwürfe sind bis heute Linie und Ornament und die Umsetzung von Linie und Ornament in die Dreidimensionalität. Sie setzt ihren Halsschmuck, ich habe eben schon darauf angespielt, aus einer Art von Modulen zusammen, die sie durch Reihung aneinander fügt. D.h. sie schafft als Grundmotiv eine Form, die geometrisch, ornamental, dekorativ oder auch alles zusammen sein kann. Diese Module oder Elemente reiht sie aneinander und kreiert auf diese Weise einen Rhythmus. Die Formenwelt dieser Module war zu Beginn der 1990er Jahre geometrisch. Alexandra Bahlmann war auf der Suche nach einer eigenen Formenwelt, jenseits von Naturvorbildern. Heute sind es bewusst Bögen, Blätter, Tropfen, organische, fließende Formen, derer sie sich bedient.
Wichtige Begriffe im Schaffen von Alexandra Bahlmann sind Beweglichkeit, Dreidimensionalität und Opulenz. Die bewusste Auseinandersetzung mit antikem Schmuck und Modeschmuck sind im Moment die beiden Pole, die sie in ihrer Arbeit ausloten möchte. Es ist vor allem der Schmuck des Jugendstils, seine Üppigkeit und Farbenpracht, seine technische und handwerkliche Vollkommenheit, worauf sie ihre Konzentration richtet. Zugleich kokettiert sie mit dem Phänomen „Modeschmuck“. So arbeitet sie viel mit Perlen aus Edelsteinen und Halbedelsteinen, die sie effektvoll in Szene setzt. Ihre Arbeiten haben dabei häufig etwas Textiles, sie wirken filigran, fast wie aus Metall und Edelsteinen gewirkte Spitzen.
Alexandra Bahlmann liebt es üppig, sinnlich und dekorativ, weiblich, aber auch romantisch und manchmal orientalisch. Es sind oft luftig leichte Colliers, die in ihrer Werkstatt entstehen. Sie selbst sagt von sich, dass sie die berühmte Devise“ less is more“ ganz einfach ignoriert.
Es gibt zwei wichtige Punkte in Barbara Seidenaths Kindheit und Jugend, die vielleicht bis heute ausschlaggebend für ihre Arbeit oder zumindest von großem Einfluss dafür sind. Es ist zum einen ihr enges Verhältnis zur Natur, das bedingt war durch eine Kindheit auf dem Land und in der Natur. Zum anderen bekam sie ihren ersten künstlerischen Impuls von Hermann Jünger und seiner Familie. Barbara Seidenath war schon früh mit Anette Jünger, der Tochter von Hermann, befreundet und fasziniert von der Großfamilie des Goldschmiedes und deren kreativer Aura. Dies trug maßgeblich dazu bei, dass sie sich zu einer Goldschmiedelehre in Neugablonz entschloss. Anschließend arbeitete sie für die Münchner Goldschmiedin Ulrike Bahrs. Nach einem Amerika-Aufenthalt wurde sie 1984 in die Goldschmiedeklasse von Hermann Jünger aufgenommen, wo sie ihr Studium und schließlich auch die Meisterklasse absolvierte. 1994 zog sie fest in die USA. Seither unterrichtet sie an der Rhode Island School of Design in Providence, Rhode Island.
Barbara Seidenaths Schmuck ist in der Regel Emailschmuck und besticht durch seine Farbigkeit und den Zauber seiner Oberflächen.
Die frühen Arbeiten der 1990er Jahren wurden charakterisiert durch Plastizität, Lebendigkeit und vor allem durch die Farbe. Kontraste wie apfelgrün und scharlachrot dominierten. Ohrringe, die wie rote Lippen oder grüne Sputniks oder wie Blüten anmuten, entstanden. „Wurzelblüte“ oder „Rosengärtlein“ waren ihre Namen. Es war die Farbigkeit der Maler des Blauen Reiters, die sie beeinflusste, Jawlenski, Kandinsky, aber auch die Farbigkeit in den Arbeiten der Goldschmiede Hermann Jünger und Giampaolo Babetto.
Barbara Seidenaths Schmuck ist frisch und spontan, manchmal frech und oft sinnlich. Intensiv hat sie sich mit der Geschichte von floralen Schmuck und mit historischen Techniken befasst. Mit diesen Erfahrungswerten und unter Verwendung dieser historischen Techniken schafft sie neue, dreidimensionale Formen.
Die emaillierten Oberflächen von Barbara Seidenath sind häufig samten weich. Manchmal sind sie die emaillierten Flächen opak, dann wieder durchsichtig (das Rot des Kupfers scheint durch) sie verwendet Steine und Perlen, Korallen, Glas, Diamanten. Ende der 90er Jahre reduziert sie ihre Farbpalette mehr und mehr und konzentriert sich schließlich auf den schwarz-weiß-Kontrast. Es war die Zeit, in der sie sich ausgiebig mit dem Phänomen „Eis“ befasste, mit der Natur im Winter, den Lichtreflexionen. Kälte war lange Zeit eines ihrer Themen, Kristall. Immer wieder war die Natur Thema, Inspirationsquelle.
Der Schmuck von Barbara Seidenath war immer assoziativ und er ist es bis heute. Wenn man für Alexandra Bahlmann die Linie und das Ornament als wesentliche Faktoren bezeichnet, so ist es bei Barbara Seidenath das Bild. Es war immer das Bild, das Abbild der gesehenen Welt, das sie in ihrem Schmuck einzufangen versuchte. Die frühen Arbeiten waren nahe am „Vorbild“, mit den Jahren wurden diese Umsetzung abstrakter, sie löste sich von der allzu wörtlichen Wiedergabe, wurde freier. Dies lässt sich beispielsweise auch an den Rahmungen der Broschen aus der Winter-Serie beobachten. Sie wurden zunächst klassisch gerahmt, fast wie ein Bild, schließlich wurde der Rahmen aufgegeben.
Die Ohrringe mit dem Titel „Wassertropfen“ sehen in der Tat wie Wassertropfen aus. Im Ohrschmuck “Ravenna“ greift Barbara Seidenath die Mosaiksteinchen der ravennatischen Glasmosaiken auf, bei der Brosche „See“ wird eine blau emaillierte Fläche von einem Goldrand eingesäumt. Es entstehen Ohrringe mit gezeichneten Linien, die wie Bleistiftzeichnungen aussehen, wie gezeichnete Kringel, die man auf ein Blatt aufkritzelt, schwungvoll und lebendig, die Oberfläche schimmert samten. Aber auch hier ist es das Bild einer Zeichnung. Die Zeichnung hat eine erstaunlich Tiefe, die Barbara Seidenath durch die Verwendung von Drucktechniken erzielt. Mittels Matrizen, die sie mit einer Walze auf den Träger, das Metall, drückt, entstehen die Vorlagen, die dann emailliert werden. Übrigens ist das Emaillieren, die Technik, die Barbara Seidenath so meisterlich beherrscht, nur ein Mittel zum Zweck, das die Verwirklichung ihrer Ideen erlaubt.
Dr. Angela Böck
Handwerkspflege in Bayern
Im heurigen August hat Jürgen Prüll seine Galerie in ein italienisches Kaffee verwandelt und dazu Künstler aus der Goldschmiedeschule Alchimia in Florenz eingeladen.
Eine wunderbare Idee, ein bisschen Italien nach Deutschland zu verlagern, so den, in der Heimat verbliebenen den Süden etwas näher zu bringen und eine Galerie in ein Kaffee zu verwandeln. Die Galeriebesucher werden zum Verweilen angehalten, können in Ruhe den ausgestellten Schmuck betrachten, sich beim Kaffee unterhalten oder Zeitung lesen und den Schmuck auf sich einwirken lassen. Vielleicht werden sie das eine oder andere Stück anprobieren und beim Kaffeetrinken tragen. Denn Schmuck gehört an den Körper, muss getragen und gefühlt werden, dann erst wird er zu seinem wirklichen Leben erweckt.
Ein “Leben”, dass so alt ist, wie die Kulturgeschichte der Menscheit selbst. Schmuck in der Vitrine hat etwas Trauriges und Verlorenes an sich, ein bisschen wie ein Tier im Käfig. Erst im Unisono mit dem Körper und seiner Bewegung zeigt er seine Pracht und auch sein Geheimnis. Seine Leichtigkeit oder auch sein Gewicht muss gespürt werden. Wie zum Beispiel im Fall der Werke von Marzia Rossi die durch ihre Leichtigkeit und Transparenz bestechen, und erst durch Lichteinfall und Bewegung ihre innerste Substanz zeigen. Kreationen des Südens, voll von Licht, und durch Licht zum Leben erweckt. Transparente Strukturen, gefüllt mit geheimnisvollem, schillerndem Leben, wie Medusen im glasklaren Meer.
Vier, der hier präsentierten Künstler - Claudia Cucchi, Maria-Pace Pellegrini, Marzia Rossi, Flora Vagì - haben an der Goldschmiedeschule Alchimia in Florenz studiert, und obwohl nicht alle gebürtige Italiener sind, hat der langjährige Aufenthalt in diesem Land, und das Studium an dieser Schule doch deutliche Spuren hinterlassen.
Italien, das Land in dem die Schmuckkunst seit fast dreitausend Jahren zur höchsten Vollendung gelangt ist, und Florenz, die Stadt in der Künstler wie Donatello, Botticelli, Ghiberti und natürlich Cellini in der “Bottega” von Goldschmieden aufgewachsen sind und der Ponte Vecchio noch heute seinen Goldglanz verbreitet, haben den Arbeiten dieser Künstler etwas wie einen Stempel aufgedrückt. In all ihrer Verschiedenheit von Materialien und Formen ist ihnen eine gewisse Lebensfreude und Lust am Schmücken gemein und der Wille diese auch nach aussen mit Vergnügen zur Schau zu stellen. “Schön” zu sein ist für den Italiener ebenso wichtig wie gut zu essen und zu trinken, und dieser Schmuck will “ver”schönern. Diese Freude an Schönheit und Poesie zeigen die Werke der Ungarin Flora Vagì. Ebenholz, Farbe und Gold, wie im Märchen von Schneewittchen - weiss, rot, schwarz - und das versteckte Gold, der Schatz, oft nur dem Träger sichtbar, setzten Akzente am Körper, schmiegen sich an, leuchtend in ihrer Farbpracht. Den Glanz und die Farbe der Sonne, die spielerische Leichtigkeit und Ironie eines italienischen Sommertages finden sich im Schmuck von Maria-Pace Pellegrini. Sie spielt mit Fundstücken, Worten und Bildern, verbindet sie mit Gold zu Fabelwesen, die auf ihre Weise dem Träger wundersame Geschichten erzählen. Auch in der Arbeit von Claudia Cucchi spielen Farbe und Licht eine bedeutende Rolle, geboren und aufgewachsen in Brasilien, spürt man jedoch auch eine gewisse Melancholie, den portugiesischen “Fado”. Die Farbe wird aufgetragen und dann wieder zum Teil abgekratzt, ein Zeugnis von vergangener Pracht, während in ihren schwarzen und weissen Broschen das theatralische einer südlichen Hochzeit oder eines Begräbnisses auftaucht.
Alessandra Pizzini ist indes den umgekehrten Weg gegangen, geboren und aufgewachsen in Italien hat sie in Deutschland studiert und lebt und arbeitet in Nürnberg. In ihrer Arbeit haben sich Farbe und Form dem Konzept unterworfen, die Idee und der Gedanke stehen im Vordergrund, Ornament wird weggestrichen und bricht aber doch immer wieder durch, mit viel Witz und Ironie.
Mit einem Wort, eine Ausstellung die von Sommer und Sonne erzählt und Schmuck zeigt der “schmücken” will.
Doris Maninger
Direttore dell`ALCHIMI
Anagramme sind Worte und Sätze, die durch Umstellen der Buchstaben eines gegebenen Wortes oder Satzes entstanden sind.
Obwohl literarische Randerscheinung, kann die Anagrammkunst auf eine lange Tradition zurückblicken: schon in der griechischen und römischen Antike war die Suche nach dem Wort im Wort verbreitet. Als „Vater des Anagramms“ wird Lykophron von Chalkis genannt, im 3. Jh vor Christus einer der sieben Hofdichter am Hofe des Ptolemaios. Während die Griechen und Römer die Anagrammtechnik vor allem zur Verschlüsselung von Geheimbotschaften nutzten, sahen die jüdischen Kabbalisten darin eine Methode, hinter das Geheimnis des Alten Testaments zu kommen. Die weltlichen Herrscher ließen sich ihre Macht durch Anagramme aus ihrem Namen legitimieren; dabei ging es um eine möglichst hohe Anzahl möglicher Um-Schreibungen: so soll Ludwig XIII. sich einen „königlichen Anagrammatisten“ ernannt haben, der fünfhundert Anagramme auf seinen König fand. Im 15. und 16. Jahrhundert kam das Anagrammatisieren vor allem in Frankreich in Mode. Seine Hochkonjunktur hatte es im Zeitalter des Barock: in Deutschland war es Martin Opitz, der sich um dieses Spiel mit den Buchstaben verdient machte, sein Ansporn dabei war, zu zeigen, dass die deutsche der lateinischen Sprache in puncto Vielfalt in Nichts nachstand. Aufgrund des vokalischen Charakters der italienischen Sprache konnte sich die Anagrammtechnik in Italien sehr vielfältig entwickeln, zunächst wiederum bei Hofe: König Vittorio Emanuelle II. wurde namentlich Gegenstand einer Anagramm-Fehde. Seine Anhänger fanden folgenden Satz in seinem Namen versteckt: „ Rom will Dich und Gott heißt es gut.“ Die Gegner hingegen fanden: „Weder Gott noch Rom will Dich hier.“ In italienischen Zeitungen war dieser „Wort-Sport“ bis ins 20. Jahrhundert verbreitet, so schrieb der Corriere della Sera einen Preis aus für das beste Anagramm auf die Wort „Maestro Giuseppe Verdi“. Es gewann der Satz: „Di vigor perpetua messe“ d.h. „aus der Kraft eine ewige Ernte“
In allen Zeiten diente das Anagramm als Pseudonym, der Aspekt des Geheimen, der versteckten Identität kommt hier wieder zum Tragen. Aus Arovet l(e) j(eune) entstand Voltaire, aus Paul Antschel entstand Paul Celan. Das sind nur zwei Beispiele von vielen Schriftstellern, die ihren Namen auf diese Art und Weise änderten.
Die Frage der literarischen Bewertung des Anagramms fiel im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich aus: Nach einer Anagramm-Sucht des Barock folgte im Zeitalter der Aufklärung eine Verpönung des Anagramms als kindliche Spielerei, weder nützlich noch vernünftig. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts geriet das Anagrammatisieren in Vergessenheit, bis die autonome Wortkunst der französischen und russischen Symbolisten dieses Verfahren für sich entdeckte. Der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure versuchte in seinen Anagrammstudien Anfang des 20. Jahrhunderts den Nachweis zu erbringen, dass es sich beim Anagrammverfahren um ein Grundgesetz poetischen Schaffens handele. Das Interesse setzte sich dann in surrealistischen Kreisen fort. Man schätzte dort das Anagramm besonders, weil in ihm das Unbewusste sich in Szene setzen könne, so das surrealistische Credo.
Im Umfeld der Surrealisten arbeitete auch Unica Zürn, geboren 1916 in Berlin, gestorben 1970 in Paris. Sie brachte es zur Meisterschaft in diesem Verfahren, gerade weil sie gegen das surrealistische Credo anschrieb. Sie schrieb Anagrammgedichte, wertete die spielerische Form, das Zufallsprinzip, das die Surrealisten dahinter sahen, poetisch auf. „Das ist ein Anagrammgedicht“ heißt auch eines ihrer zahlreichen Gedichte, die zwischen 1954 und 1964 entstanden. Angeregt dazu wurde sie von dem surrealistischen Künstler Hans Bellmer, den sie 1953 kennenlernte und mit dem sie bis zu ihrem Tode eine sehr schwierige private Beziehung verband.
Das ist ein Anagrammgedicht
Ein Anagramm ist das Gedicht
gemacht im Anti-Sarg, im Sande.
An Ti gedacht, im Gras, im Sande,
stimmt dich der i-aa-Gesang an.
Das singt ein Tiger am am Dach.
Das ist mein Rachetag am Ding.
Da nagt sein Drama am Gesicht,
das ist ein Anagrammgedicht.
Ei das dich mag´ren Satang mit
Danten grimmig stich! – Das E-AA-
das Anagramm, dein geisticht
arme Magd sagt an: dein Ich ist
ein Gramm Dichtang. Ist E-A-
das Nest im Ei, ach dring am Tag
ein Anadicht, das Geistgramm –
ein Gramm ANA. Das Gedicht ist
im Na gemacht. Rest: DAS NA IGDI
ist der anamitische Dang-Gam-
Gam-Gan-dit – ein dramatisches
Gedicht. Das ist ein Anagramm
Entstanden ist dieses Anagrammgedicht 1960 in Paris. Das Gedicht spricht über sich selbst und wir können einiges über die Problematik dieser Art der Arbeit, über den Zwiespalt erfahren, in den Unica Zürn in der Auseinandersetzung mit dieser Form als Autorin gerät. Auch Grundsätzliches zur Poetologie ist angedeutet. Und immer wieder: übrigbleibende Buchstaben am Zeilenende, was eine Verletzung des Anagrammgesetzes bedeutet, nimmt man dieses als strenge Ordnung an, und das tat Unica Zürn. Immer wieder Material, das nicht „verwertet“ werden kann. Die „geisticht arme Magd“ liefert uns einen Hinweis auf das Problem der Autorschaft: sind Anagramme nicht nur bloße Reproduktionen eines Satzes, der nicht der eigene ist, nicht aus einem selbst kommt. Kann der künstlerische Anspruch auf Originalität auf diese Weise verwirklicht werden? Auf der anderen Seite steht der Wille zur poetischen Form: Strophenbildung, Rhythmus und Zeilensprünge sprengen die begrenzte schöpferische Möglichkeit innerhalb einer umgeschriebenen Zeile und machen aus den 20 Anagrammen eben doch ein Gedicht.
In den vokalischen Resten i-a-a oder e-a-a zeigt sich ein weiterer Aspekt, der auch für viele andere Anagrammgedichte Unica Zürns sehr wichtig ist: die Lautlichkeit steht über der festumrissenen Signifikanz der Wörter, das Hören und der Rhythmus, die Bewegung, das Dramatische stehen über dem Lesen und eindeutigen Verstehen.
Werfen wir einen Blick auf die Arbeitstechnik von „Anagrammatisten“: üblicher Weise wurde mit Buchstabenkärtchen gearbeitet, also das Setzkastenprinzip, das viele von uns noch aus der Schule kennen, nur sind eben nicht alle Buchstaben des Alphabets in unbegrenzter Anzahl vorhanden. Aufzeichnungen im Nachlass belegen, dass Unica Zürn auf derartige Hilfsmittel verzichtete und sich nie vom Papier löste. Ich zitiere aus dem Nachwort des Anagrammbandes, erschienen in der Werkausgabe Unica Zürns und herausgegeben von Sabe Scholl:
„Die Ausgangszeile wurde mit jedem Versuch angeschrieben, dann die Buchstaben der gefundenen Worte ausgestrichen. Gelang keine vollständige neue Zeile, musste Zürn den Vorgang wiederholen: Schreibung der Zeile, Streichung usf. (...) Die Suche erfolgte von oben nach unten, die Assoziationen und Weiterführungen verfahren Zeile für Zeile. Einzelne Wortteile wurden rasch ausgemacht, in die potentielle Zeile übernommen. Der Rest stellte Material für die Gestaltung weiterer sinnhafter Elemente, die sich zum schon Gefundenen fügen. Manchmal wurde ein Versuch auch abrupt aufgegeben, ein neuer Anfang gesetzt, manchmal nahm Zürn den Rest der vorhergehenden Zeile in die nächste, neu angeschriebene. Passten die gefundenen Teile als Satz nicht zusammen, wurden sie verworfen und nicht später noch eingebaut. Vielmehr arbeitet das Gedächtnis aus der Wiederkehr bestimmter Teile, insistiert auf spezieller subjektiver Auswahl. Einzelne Sinnstücke wurden beharrlich fortgeführt, unbedingt sollten sie im Anagramm untergebracht werden, doch wenn ihre Umgebung, das Restmaterial nach vielfachen Versuchen nicht „aufging“, mussten sie verworfen werden. Die Arbeit eines ganzen Tages vielleicht war so vergeblich.“
Unter den Gegenwartsautoren sind es insbesondere die Lautpoeten Oskar Pastior und der jüngere Michael Lentz, die diese Form der Anagrammgedichte neben anderen Möglichkeiten im Spiel mit dem Sprachmaterial erproben. An dieser Stelle sei nur ein kurzes Beispiel genannt. Oskar Pastior schuf das folgende wunderbare Anagramm auf Unica Zuerns Namen: azur in nuce – eine perfekte einzeilige Hommage, die keiner weiteren Um-Schreibungen bedarf.
„Die gramme Ana“ haben Beate Eismann und Ute Eitzendörfer ihre Ausstellung überschrieben. Sie befinden sich in der oder besser: begeben sich in die Ausgangssituation der Anagrammkünstler, indem sie sich Beschränkungen das Arbeitsmaterial betreffend auferlegen, sich darauf einlassen, mit Weniger als der ganzen Fülle der Möglichkeiten auszukommen. Eingeschränkt ist das Grundmaterial und die Farbenskala, ausgelöst wurde dadurch der Impuls zur Variation, zum spielerischen Umgang mit eingegrenzten Formen. So beschreibt es Ute Eitzendörfer für ihre Arbeiten, die losgelöst von der Sprache entstanden sind.
Beate Eismann knüpft direkt an Unica Zürns Arbeit an. Deren Anagramm mit dem Titel „Wir lieben den Tod“ nimmt sie in ihrer Arbeit „Textbrosche“ auf, schreibt es fort, gibt ihm Materialität und die Schwere eines Bleisatzes, die die bleierne Schwere der Bedeutung, die dieses Anagramm in sich trägt, mehr als nur abbildet. Gleichzeitig spiegelt sie die Worte, nimmt ihnen die Schwere, indem sie die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Form lenkt. Weitere Arbeiten tragen Titel wie „Anagrammage“ oder „Etikettenschwindel“ – ein Schmuck, der „nicht hält, was er auf den ersten Blick verspricht.“ (Beate Eismann).
Beide Künstlerinnen bekennen – und das haben sie mit der Anagrammdichterin Unica Zürn gemeinsam – dass die Verfahrensweise des Anagramms sie zwiespältig stimmt. Beide haben sich entschlossen, diesem Zwiespalt freien Lauf zu lassen, sich seinen Reizen auszusetzen.
Patricia Preuß
Das zitierte Gedicht ist erschienen in:
Unica Zürn: „Anagramm“ Bd 1 der Werkausgabe, 1988, Verlag Brinkmann & Bose Berlin, S.92
Das Zitat aus dem Nachwort findet sich auf S. 135
„Jeder reist mit seinem eigenen Licht“ – dieser beziehungsreiche Titel und die festlich weißen Papierschuhe von Margit Jäschke erinnern mich an einen Strandtag in Griechenland und den Text von Nikos Kazantzakis:“...das Licht in Italien ist weich, weiblich, das Licht Ioniens ist sehr lieblich, von orientalischer Sehnsucht, in Ägypten ist es dickflüssig und wolllüstig, das Licht in Griechenland ist voller Geist; solches Licht half den Menschen klar zu sehen, Ordnung in das Chaos zu bringen, es zum Kosmos zu gestalten und Kosmos, Welt, heißt
Harmonie“.
Das Licht in Halle an der Saale, dem Wohnort der Künstlerin, ist zwar nicht so gleißend hell – eher dominieren Grautöne – aber südliche Leichtigkeit und Farbklänge, Sinnlichkeit und Harmonie, dieses Schwerelos-Schwebende entdecke ich auch in dem Kosmos von Margit
Jäschke. Ihre Bilder, Objekte und ihr Schmuck sind inspirierte Schöpfungen, die Ordnung, Schönheit und Phantasie spannungsvoll ausbalancieren. Diese weißen Schuhe – Papierobjekte – lassen mich nicht los. Für mich sind es Gefäße für Träume und Gedanken – leichtfüßig begibt man sich damit in andere Gefilde. Für die Künstlerin sind sie auch ein Symbol für den Lebensweg, die eigenen Möglichkeiten – jeder hat seinen Weg..
Margit Jäschke studierte an der Burg Giebichenstein Schmuck bei Renate Heintze und Dorothea Prühl. Zu ihrer Diplomarbeit 1991 gehörte u.a. eine Figuration aus handgeschöpften Papieren und natürlich Schmuck – ebenfalls aus diesem sensiblen Material.
Die Begeisterung für dieses leichte, Veränderungs- und Alterungsspuren zeigende Papier, ist geblieben. Neben den „klassischen“ Schmuckmaterialien verwendet Margit Jäschke Alltagsdinge, beispielsweise zieren Nudelformen als kleine vergoldete Wagenräder das
Ohr. Oder in Zitronenschalen leuchtet Kunststoff – mit venezianischen Glas verbunden.
Die Formen sind nicht starr, geometrisch-konstruktiv, sondern sie wirken bewegt, wie gewachsen. Durch leichte Unregelmäßigkeiten scheinen die Arbeiten lebendig, atmen sie. Vergängliches hebt das Dauerhafte hervor. Beispielsweise sind an einer langen Kette aus Rosenquarz ein silbergefaßtes Quadrat und eine amorphe, fossilartige Form aus Papiermaché als Schmuckteile integriert, die jeweils mit einem geschliffenen Bergkristall als prächtigen Akzent besetzt sind.
Ich kenne die Arbeiten von Margit Jäschke seit Anfang der 90er Jahre. So unterschiedlich sie auch in Hinsicht auf Material, Form und Technik sind, als typisch erscheint mir ihre intuitive Sicherheit der künstlerischen Mittel, der spielerisch wirkende Ausdruck und die ernsthafte und lange Beschäftigung mit einem Thema. Ihr Schmuck, ihre Bilder und Plastik sind von einer eigenen, unverwechselbaren Handschrift geprägt. Margit Jäschke gehört zu den Doppelbegabungen, die sich sowohl im plastisch-räumlichen wie auf der Fläche gleichermaßen überzeugend ausdrücken können. Die malerische Auffassung ist für mich in dem sicheren und besonderen Umgang mit Farbe zu sehen. Ihre Palette reicht von feinsten Tonabstufungen bis zu kräftigen Akzenten. Alles Schrille und Laute meidet sie.
Für Margit Jäschke ist Schmuck Ausdruck eines Lebensgefühls, dessen Ausstrahlung sich auch auf den sich Schmückenden überträgt. Meine Damen und Herren, sie sollten es heute einfach einmal ausprobieren.
In die ausdrucksstarken und empfindsamen Bilder muß man sich „einsehen“.
Die Bildschichten ziehen den Blick des Betrachters in die Tiefe. Mit sich überlagernden Siebformen und –farben wird eine räumliche Wirkung suggeriert. Bestimmte Elemente sind vervielfältigt – sie werden aber immer wieder anders eingesetzt. Diese abstrakten Unikate haben keinen einfach ablesbaren Inhalt, sie führen aber mit dem Betrachter eine unterschwellige Kommunikation“, ihr Formenvokabular regt auf reizvolle Weise unsere Phantasie an. Begonnen hat Margit Jäschke mit Papiercollagen schon in der Zeit des Grundlagenstudiums.
Die hier ausgestellten Bilder - in Mischtechnik - sind als Weiterführung zu sehen.
Margit Jäschke gehört zu den Grenzgängern, die sich verschiedener Medien für ihre poetischen, sinnlichen Mitteilungen bedienen. Ein Motto der Grassipreisträgerin von 2002 möchte ich noch zitieren: „Das Experimentieren ist die wahre Freude bei der Arbeit“. Mit den farbenfrohen und feinsinnigen Kunstobjekten von Margit Jäschke feiert der Schmuckmacher Jürgen Prüll meines Erachtens auf besonders festliche Weise das 4jährige Bestehen seiner Galerie. Auf den 21 Ausstellungsquadratmetern haben bereits über 50 internationale Künstler ihre Arbeiten gezeigt. Die Palette reicht von Schmuck, über Glas, Keramik, bis hin zu Bademoden und Hüten. 2002 wurde sogar ein international ausgelobter Wettbewerb unter dem genüßlichen Titel „Wurst & Schmuck“ initiiert. Vier Jahre einer Ausstellungstätigkeit zählen in unserer krisengeschüttelten Zeit heute fast wie eine Feier zum
50jährigen Geschäftsjubiläum. Mögen die Weidener und ihre Gäste die Mühe und den Kraftakt von Jürgen Prüll würdigen, indem sie kommen, kaufen und den geplanten„ Verein zur Ausbreitung angewandter Kunst“ unterstützen. Der angewandte Bereich – angesiedelt zwischen Design und freier Kunst, mit fließenden Übergängen – ist zwar ein kleiner, aber lebendiger und unverzichtbarer Bereich unserer Kultur. Den mbitionierten Streitern wünsche ich Mut und Erfolg !
Andrea Richter-Mahlo
Einführung: Monika Goedl
NICHTS KANN UNVERWANDELT GERETTET WERDEN
Th.W. Adorno
Sie haben sich hier am Sonntagabend eingefunden, um Schmuck anzuschauen, Schmuck der Japanerin Erico Nagai. Erico Nagais Schmuck wird Sie bezaubern, uns allen ist es so ergangen.
Ich werde später darauf eingehen.
Die Einzigartigkeit von Erico Nagais Schmuck zeigt sich vielleicht am besten im Vergleich mit den Münchner Fünf, den ehemaligen Hermann Jünger Schülern an der Bayerischen Akademie der Bildenden Künste, zu denen Erico Nagai gehört. Die sog. Münchner Fünf stehen in der vordersten Linie der internationalen zeitgenössischen Schmuckszene.
Um vorab Position und Stellenwert von Schmuck überhaupt zu beleuchten, möchte ich Sie - notgedrungen sprunghaft - an einige Aspekte und historische Fakten erinnern.
Aktueller Schmuck kann in drei Gruppen klassifiziert werden.
Den quantitativ breitesten Raum nimmt der Juwelierschmuck ein. Armin Zweite beschimpft ihn unzweideutig knallhart als Juwelierschrott, weil technisch zu perfekt und deshalb kalt und seelenlos. Eine ganz andere, große und wichtige Gruppe bildet der Modeschmuck, der immer wieder eine Vorreiterrolle und auch eine Trittbrettfahrerrolle spielt gegenüber der dritten und wichtigsten Gruppe, um die es heute Abend geht, dem Kunstschmuck.
Die drei Kategorisierungen beleuchten schlagartig die Problematik des Goldschmiedehandwerks. Aber diese Qualifizierungen waren bis zur Renaissance kein Thema. Erst in der Renaissance beginnen Goldschmiede in der Hierarchie der Künstler immer tiefer zu sinken. Dazu Armin Zweite: Immerhin kamen noch Künstler wie Donatello, Ghiberti, Uccello, Verrocchio, Ghirlandaio, Botticelli u.a. aus Goldschmiedewerkstätten, die zu Recht die eigentlichen Kunstschulen des Quattrocento genannt werden. Im 16 Jh. trennt sich mit zunehmender Spezialisierung die sog. Hohe Kunst vom
Goldschmiedehandwerk, der sog. angewandten Kunst.
Nur Benvenuto Cellini kann sich trotz Anfeindungen noch als Goldschmied UND Bildhauer behaupten. Danach gerät das europäische Goldschmiedehandwerk ins Ghetto. Pejorative Stichworte des 19. Jh. zum Schmuckghetto wie Kunsthandwerk, Kunstgewerbe, Dekorative Kunst, Angewandte Kunst etc. stehen stellvertretend für eine komplizierte, weitverzweigte Geschichte. Erst im Verlauf des 20. Jh. wird Schmuck diesem Ghetto partiell und stufenweise entkommen.
Schon 1895 wird Henry van de Velde sagen „Leben ohne Schmuck ist kein wahres Leben“ und meint damit Kunst als wundersamsten Schmuck des Lebens. Das bedeutete vice versa Schmuck ist Kunst. Sein Schmuckoeuvre, der Jugendstilschmuck generell, liefert die Beispiele.
Die frühen magischen und rituellen Eigenschaften des Schmucks sind in den westlichen Kulturkreisen irreversibel verloren. Amulette aus prähistorischer Zeit, ab circa 40 - 30000 Jahren vor Chr., haben sowohl magische als auch schmückende Funktionen, so Claude Lévi-Strauss. In seinem berühmten Opus „Philosophie der symbolischen Formen“ ruhen für Ernst Cassirer in den Anfängen Kunst, Schrift, Recht, Wissenschaft noch in der unmittelbaren und ungeschiedenen Einheit des mythischen Bewusstseins, werden Potenzen und Kräfte noch dämonisiert und vergöttlicht. Die magische Weltauffassung ist durchdrungen vom Glauben an Wesen und Kraft der Zeichen. Wortzauber, Bildzauber, Schriftzauber liegen der magischen Weltsicht zugrunde. Den magischen Abwehrzauber fetischartiger Amulette bewirken Jahrtausende lang Tierzähne und Tierknochen, Horn, Krallen, tropisch bunte Federn, glänzend polierte Steine. Die Kraft steckt im Trivialen (Malidoma Patrice Somé).
Aber sobald es entdeckt ist, avanciert das Gold zum Träger überirdischer Kraft und Lebensspender höchsten Ranges,
die Materie wird zur Form gewordene spirituelle Schönheit (Somé).
Die älteste heute bekannte Goldförderung und -bearbeitung findet im 5. Jahrtausend v. Chr. im heutigen Bulgarien statt. 1972 wird in Varna am Schwarzen Meer in der Nekropole eines unbekannten Volkes eine unvorstellbare Fülle von Anhängern, Pektoralen, Ohrringen, Armbändern in getriebenem Gold entdeck, die stilistisch zum alten vedischen Indien zu gehören scheinen. Ältesten indischen Texten nach ist Gold der Keim des als göttlich verehrten Feuers und ein irdisches Symbol der Sonne. Auch für Ägypten ist seit dem 4. Jt. v. Chr. Gold leuchtende unzerstörbare Materie der Sonne.
In Afrika z. B. gibt es immer noch Nischen, in denen Magie und Ritus im Schmuck aus Naturmaterialien und aus Gold lebendig sind.
Vergleichen wir die beschriebenen Uranfänge des Schmucks mit heute ist eine neue Sinnlichkeit, Intensität und Strahlkraft zu entdecken,
die auf einer anderen Ebene mit der alter Stücke konkurrieren können. Ihre Reinheit existiert freilich pur, als l´art pour l´art, ohne mythischen, sprich religiösen Hintergrund. Die Intentionen sind den archaischen entgegengesetzt, kommen von der anderen, der intellektuellen Seite.
Anstelle des Begriffs Magie ist der Begriff Psyche getreten, die den Zugang zum schöpferischen Unbewussten herstellt, das freilich nach C.G. Jung von Archetypen gesteuert wird. Denn was ist Magie anderes, als die psychische Fähigkeit, Gefühle und Energien so zu konzentrieren, dass sich Ergebnisse auf der sichtbaren Ebene, einem Schmuckstück z. B., einstellen, ebenso einstellen wie bei einem anderen nicht zweckgebundenen Kunstobjekt.
Nach diesem Exkurs sehen wir Schmuck vielleicht mit anderen Augen.
Zur schon genannten Gruppe der Münchner Fünf gehören neben
Erico Nagai Hubertus von Skal, Daniel Kruger, Gerd Rothmann und
Otto Künzli. Otto Künzli hat mit seiner roten Herzbrosche und seinem weißen Mickey-Mouse-Anhänger aus Kunststoff als Analytiker, Spötter und Tabubrecher Furore gemacht. Auch Gerd Rothmann fällt mit seinen goldenen und silbernen „Hautstücken“ aus unserem selbstgewählten Rahmen. Stattdessen möchte ich den Paduaner und Fastmünchner Giampaolo Babetto einbeziehen.
Hubertus von Skal, der sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, hatte sich zuletzt in den 80ern und frühen 90er Jahren dem Ring,
der vermutlich ältesten Schmuckform, zugewandt.
Seine Ringe sind von so prononcierter Rigidität, dass sie immer noch hochaktuell, ja avantgardistisch sind. Durch formale Auszehrung der Um- bzw. Binnenrisse und immaterielle Steinfarben erreicht er einen Abstraktionsgrad von gebändigter Emotion, der bis zur Lebensferne geht.
Im krassen Gegensatz zur Einfachheit Hubertus von Skals steht die wilde Originalität Daniel Krugers.
Daniel Krugers Armbänder, Ohrringe, Broschen, Kolliers aus Gold oder Silber halten sich an die traditionellen Formen, unterlaufen sie aber durch scheinbar unfertige Spuren des Machens.
In Wirklichkeit ist die „Unfertigkeit“ kalkuliert. sie wird in einem interessanten Zustand fixiert, der die Phantasie in Gang setzt,
die Vollkommenheit selbst zu suchen. So wird Spannung provoziert.
Auch seine Edelsteine, z. B. Rohdiamant und Rubin, der Kieselstein und vor allem die Glasscherbe konterkarieren als zufälliges Bruchstück, das Unvollkommenheit suggeriert, unsere Vorstellung.
Sie erscheinen archaisch. Archaischer Schmuck, wie er bis heute, oder sollte ich sagen bis vor kurzem, in anderen Erdteilen wie der Südsee überdauert hat, strebt aber vollkommene Regelmäßigkeit an. Daniel Kruger übersetzt Archaik spontan ins scheinbar naiv Kindliche,
er archaisiert und treibt ein verwirrendes Spiel mit unseren Sehnsüchten nach Ursprünglichkeit, das von meisterhafter Raffinesse zeugt. Es wäre interessant, Daniel Krugers Schmuck unter dem Aspekt der Ursprünglichkeit mit Schmuck von Alexander Calder oder Dorothea Prühl zu vergleichen.
Obwohl sie auf den ersten Blick minimalistisch unterkühlt wirken, offenbaren Giampaolo Babettos Arbeiten bald ihre Leidenschaftlichkeit, die ihr Faszinosum ausmachen.
Die Konzentration auf knappste elementar geometrische hohle Goldkörper, die sich überlappen, durchdringen, verkannten, mit Blechen abwechseln und gleichzeitig durch kühne Verschneidungen und Asymmetrien auch wieder gegen pure mathematische Prinzipien verstoßen, scheinen wie im Sturm mit großer Schnelligkeit ineinander gestoßen. So entstehen scharfe Kanten und Spitzen, die Träger und Gegenüber bei raschen unbewussten Bewegungen verletzen.
Ein Plus an Energie bringen Yves-Klein-starkes Blau und Rot
in Kunstharz oder samtartig pulvrig aufgetragenem Pigment;
ein Plus an Dynamik die Schleifspuren auf dem Gold, die davon zeugen,
wie Giampaolo Babetto, das hat er einmal Erico Nagai und mir in seiner sanften Art gestanden, seine Aggressionen abreagiert.
Wie konträr dagegen die fließenden, geschmeidigen Silber- oder Eisenhalsgehänge von Tone Vigeland, die sich dank hunderter kleinster Tropfen, Kügelchen, Plättchen sanft anschmiegen und flexibel den Körperbewegungen anpassen - inspiriert von indischen Geschmeiden.
Die wenigen Aspekte, die wir aus dem typischen Formenkanon von Hubertus von Skal, Daniel Kruger und Giampaolo Babetto herausgegriffen haben, schärfen den Blick für Erico Nagais Schmuck, von dem hier eine einzige Werkphase ausgestellt wird. Erico Nagai hat in einem Gespräch anlässlich der Weidener Ausstellung beherzt die Gleichzeitigkeit ihres übersprudelnden Ideenreichtums, den sie seit zehn Jahren umsetzt, akzeptiert und beschlossen, auch in Zukunft so vielseitig weiterzuarbeiten, mehrere Linien zu verfolgen.
Ebenso wichtig wie Handschrift und Stilelemente sind ihr nämlich die Inhalte: Globalisierung und Multikulturalität in ihrer gesamten Historie faszinieren sie als Zukunftsvision.
Sie öffnen neue Wege, fordern sie zum spontanen Reagieren und Handeln heraus.
Neben sinnlich sanft gerundeten Ohrclips, Broschen, Ketten aus satt gestelzten Ovalhälften - überzogen mit mattschwarzem oder -rotem Urushi Lack und/oder verhalten rauh glänzenden Goldflächen, neben diesen in sich ruhenden Schmuckformen entstehen so expressiv gegliederte und geschnittene wie die hier in der Ausstellung gezeigten.
Kleine Röhren, Stück für Stück aus Goldplättchen geschmiedet,
lassen an Schilfhalme denken, die das Baumaterial für die kunstvollen Schilfarchitekturen im Zweistromland liefern. Röhrchen bzw. Halme zu „Wandflächen“ aneinandergereiht, in flache Kreisringe zerschnitten zum Plafond zusammengespannt, auch von einem zweiten, leicht aus der Achse verschobenen überlagert, sodass komplizierte geometrische Bilder entstehen; Rohre zu Arkaden gebogen, die sich um den Finger legen; so kann ein Ring, ein Ohrclip von der einen Seite massiv und hermetisch verschlossen, von der anderen wie ein leichtes, verspieltes Gitter optisch davon schweben.
Burg, Tempel, Schloß, Zelt, Hortus Conclusus.
Schräg bis diagonal aus einem „Halmbündel“ gesägt und gefeilt, formieren sich Blüten, Welle, Blätter aus verschieden großen Ellipsen. Der Ring, der sich kuppelförmig über drei Finger legt, geht mit „Pendentifs“ in den Fingerring über.
Diese verwirrend reichen Architekturphantasien, die immer wieder reizen, das einfallsreiche System zu enträtseln und ihre Schönheit zu bestaunen, sind Erico Nagai nicht genug.
Sie schmückt den Schmuck mit Perlen, glänzenden oder matten Edelsteinkügelchen in Rot, Blau, Grün, deren sanftes Leuchten vom matten Schimmer des Goldes intensiviert wird. Japanischer Urushi
Lack oder Email spielen zusätzlich mit den Edelsteinfarben, dem Gold.
Burgen, Tempel, Schlösser, Zelte, Horti Conclusi.
Eine Fata Morgana aus orientalischen Märchen?
Luxus aus purer Phantasie?
Im Sonnenlicht auf meinem blanken Schreibpapier lösen sich diese kleinen Wunderwerke in ein bizarres Spiel von Licht und Schatten auf. Fabelwesen, die wie durch einen Zauberstab zum Leben erwachen und ebenso leise wieder im Dunkel verschwunden sein werden.
Meine Damen und Herren, lieber Jürgen Prüll,
da gelingt einer kleinen Schmuckgalerie in Weiden etwas, was bisher wenige im deutschsprachigen In- und Ausland geschafft haben: nämlich junge und in unseren Breitengraden weitgehend unbekannte junge Schmuckkünstler aus Spanien hierher zu holen und vorzustellen. Das ist schon eher ungewöhnlich und eine ganz spannen-de Sache.
„Weitgehend unbekannt“ mit Einschränkung, weil zum Beispiel Itxaso Mezzacasa 1999 bereits den Preis der Sonderschau „Talente“ auf der Internationalen Hand-werksmesse in München erhielt – und von Annette Beeker Arbeiten im Bayerischen Kunstgewerbeverein zu sehen waren.
Wenn Sie sich aber – meine Damen und Herren – wundern sollten, dass eine Vertreterin der Neuen Sammlung, dem Staatlichen Museum für angewandte Kunst in München diese Ausstellung eröffnet, dann gibt es einen einfachen Grund dafür: Neugierde. Wir müssen nicht nach Katalonien fahren, um die dortige Avantgarde kennen zu lernen – nein, wir fahren in die Oberpfalz. Ich bin daher sehr gerne der Einladung von Jürgen Prüll gefolgt.
Es gibt jedoch noch einen weiteren Anlass für das Interesse der Neuen Sammlung an den gegenwärtigen Schmuck-Umtrieben. Seit September 2002 befindet sich das Museum bekanntermaßen im Neubau der Pinakothek der Moderne und zeigt dort auf über 4.500 qm angewandte Kunst und Design des 20. und 21. Jahrhunderts. Schmuck gehört bislang noch nicht dazu. Das wird sich nun jedoch ändern.
Im März 2004 werden wir in der Pinakothek der Moderne – unterhalb der zentralen Eingangsrotunde – einen 400 qm umfassenden und allein der zeitgenössischen Schmuckkunst gewidmeten Raum eröffnen – die sogenannte „Danner-Rotunde“.
Die Initiative dazu ist – wie der Name schon sagt – der Danner-Stiftung in München zu verdanken, einer gemeinnützigen Einrichtung, die seit den 20er Jahren Kunst-handwerk in Bayern fördert und unterstützt. Einen Schwerpunkt bildet dabei die moderne Schmuckkunst seit 1945, die von der Stiftung in einer international hoch-karätigen Sammlung zusammengetragen wurde. Sie wird außerdem kontinuierlich ergänzt und ausgebaut.
Diese Sammlung wurde 1999 dem Staatlichen Museum für angewandte Kunst für den neuen Ausstellungsraum als Dauerleihgabe anvertraut. Darüber hinaus finan-ziert die Danner-Stiftung die Inneneinrichtung mit einer sechsstelligen Summe. Damit – meine Damen und Herren – wird erstmals in einem einzigartigen überdisziplinären Kontext zeitgenössischer Autoren-Schmuck an der Seite von Kunst, Architektur und Design in einem Museum präsentiert. Unser Anliegen ist es, Schmuck als eigenstän-dige kreative und schöpferische Ausdrucksform gleichwertig neben diesen etablierten Gattungen im Pantheon der Künste zu verankern und zu etablieren.
Unter diesen Voraussetzungen kann es natürlich nicht ausbleiben – meine Damen und Herren – dass Die Neue Sammlung in Zukunft einer der zentralen Orte sein wird für die Auseinandersetzung mit künstlerischem Schmuck von internationalem Rang.
Neben den bereits namhaften Protagonisten des Genres gilt dabei unser Augenmerk stets auch den jungen Talenten und brandneuen Entwicklungen – wie eben die hier ausstellenden Gäste aus Katalonien.
Da dies wohl – nehme ich an – für uns alle eine erste Begegnung mit den Werken dieser spanischen Künstler sein wird, lassen Sie mich dem Thema langsam, vorsich-tig und von weit entfernt annähern.
Spanien, beziehungsweise Katalonien, kann auf eine äußerst reiche Schmuck-Vergangenheit zurückblicken, die bis in die Antike – bis in die Epoche der Iberer zurückreicht. Ich meine damit – meine Damen und Herren – das 7. bis 9. Jahrhundert vor Christus. Auch später genossen katalanische Gold- und Silberschmiede für ihr sakrales Gerät in ganz Europa Ansehen und Ruhm.
Und nun nähern wir uns etwas rascher.
Spätestens seit dem Jugendstil galt Barcelona – und tut dies ungebrochen bis heute – als „kreativer Schmelztiegel“. Unter wechselvollen historischen Umständen hat sich hier ein Zentrum der zeitgenössischen Gold- und Silberschmiedekunst entfaltet. Die entscheidende Funktion besitzt in diesem Zusammenhang zweifellos die welt-berühmte Escola Massana – eine Designschule von internationalem Rang – an der die bekanntesten und wichtigsten Schmuckkünstler Kataloniens studiert und schließ-lich selbst gelehrt haben, allen voran Joaquim Capdevila Gaya (geb. 1944 in Barce-lona) und Ramon Puig Cuyàs (geb. 1953 in Barcelona), deren Werke sich in den weltweit bedeutendsten Sammlungen befinden. Übrigens erhielt Capdevila bereits 1968 den Bayerischen Staatspreis und Ramon Puig Cuyas 1981, 1984 und 1994 den Herbert-Hofmann-Preis der Internationalen Handwerksmesse in München. Schmuckstücke beider Künstler sind auch in die Schmucksammlung der Danner-Stiftung eingeflossen.
Nicht zufällig also – meine Damen und Herren – stammen die in dieser Ausstellung Beteiligten ebenfalls aus Barcelona oder haben sich dort niedergelassen, wo das junge Schmuckschaffen offensichtlich pulsiert.
Sie auf einen Nenner zu bringen, wäre wohl ein unmögliches und höchstwahr-scheinlich sinnloses Unterfangen. Und doch haben sie eines gemeinsam. Ihre künstlerische Recherche in Form von „Schmuck“ reicht weit über das hinaus, was man gemeinhin unter Schmuck zu verstehen glaubt. Und: – das verschärft die Situation – sie gehören, geboren in den sechziger und siebziger Jahren – einer Generation an, für die solches bereits selbstverständlich ist. Ihre Lehrer dagegen mussten sich diese Freiheiten noch mühsam erkämpfen.
Am gewagtesten erscheint dieses Experiment in der Teamarbeit von Amador Bertomeu und Leo Caballero, genannt „Tzavara Studio“. Beide sind so genannte „Quereinsteiger“ im Bereich des Schmucks und kommen im weitesten Sinne von Kunst und Design her. Sie verwickeln den Schmuck in ein komplexes System der kreativen Kommunikation – zwischen Malerei, Architektur, Design, Skulptur und Poesie. Das heißt, es wird vielmehr auf deren Verbindung, auf deren interaktive Möglichkeiten angespielt als auf deren Unterscheidung und Abgrenzung. Das Tzavara Studio interpretiert Gestaltung als Laboratorium, in dem der Schmuck wie in einem chemischen Prozess elementare Wirkung entfacht – bei der Erforschung universaler Gesetzmäßigkeiten. Material und Tragfähigkeit der Objekte treten dabei in den Hintergrund.
Wesentlich anders die künstlerische Ausrichtung von Marc Monzò, der mit den klassischen Mitteln der Gold- und Silberschmiede – wie Silber, Gold, Farbpigmenten und Edelsteinen – seltsame und gleichwohl sinnliche Schöpfungen hervorbringt.
Annette Beeker – die in Neugablonz, München und Barcelona studierte – bricht auf radikale Weise mit Witz und Ironie die Traditionen des Handwerks auf. Es entsteht ein vollkommen neuartiges Verständnis vom Schmücken und vom Schmuckobjekt, das etwas die ursprüngliche, die quasi archaische Symbolik der rohen Materie beschwört.
Auch Itxaso Mezzacasa – zunächst Graphik- und Designstudentin, die sich später dem Schmuck zuwandte – vermeidet eingefahrene Pfade. Was ich bisher von ihr kennen gelernt habe, sind plastische Knäuel von Gummibändern, zu kompakten Broschen gebaut. Für alle – meine Damen und Herren – die noch an das Edle und Kostbare im Schmuck glaubten, ist dies natürlich ein herber Schock. Die Künstlerin selbst meint dazu lapidar: „Ich mag Dinge, die nicht auf den ersten Blick auffallen, die nicht sofort die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich mag Dinge, deren Existenz man erst nach und nach entdeckt. Die Gummibänder halfen mir, dies umzusetzen.“
Dabei sind ihre Werke alles andere als unauffällig, sondern höchst kreativ und „anziehend“ im wahrsten Sinne des Wortes – wie zum Beispiel ihre Jackenketten.
Die Schmuckkünstler aus Katalonien mögen zwar viele Konventionen hinter sich lassen, trotzdem wird auch von ihnen stets größter Wert auf eine sachgemäße Verarbeitung der Materialien, auf technische Präzision und handwerkliche Genauig-keit gelegt.
Zeitgenössische Schmuckgestaltung – meine Damen und Herren – mag uns nachdenklich stimmen, irritieren, vielleicht sogar aufbringen. Eins ist jedoch gewiss: sie setzt die Dinge in Bewegung. Sie fordert gängige und bequeme Sichtweisen heraus. Sie ist erfrischend und gewitzt, einfallsreich und gleichzeitig von sinnlicher Ästhetik geprägt. Ein Abenteuer mit manchmal noch ungewissem Ausgang – auf das wir uns – zumindest heute Abend – einmal in vollen Zügen einlassen sollten. Dazu wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.
Dr. Ellen Maurer-Zilioli
Die Neue Sammlung
Staatliches Museum für angewandte Kunst
Pinakothek der Moderne, München
„Crema di tonalitá nocciola tendente alla testa di moro, con riflessi rossicci ornati da striature chiare che creano una tigratura uniforme.”
„Haselnussfarbener Schaum, ins dunkelbraun gehend, mit rötlichem Schimmer, verziert (geschmückt) mit hellen Streifen, die alles gleichmäßig mit einem Tigermuster überziehen...“
diese subtile Beschreibung einer verführerischen Oberfläche, die ich einer italienischen Zeitschrift entnahm, gilt zwar nicht direkt einem Schmuckstück oder Gerät dieser Ausstellung, sondern dem Markenzeichen eines perfekt zubereiteten italienischen Espresso- nämlich der „crema“.
Als Kenner dieser Institution am Unteren Markt in Weiden – dem Galerieladen „Schmuck & Gerät“, ahnen Sie, dass dieser „Blick über den Tassenrand“ sehr viel mit der Schmuck- und Lebensauffassung, des Gestalters, des Gold- und Silberschmied Jürgen Prüll, zu tun hat.
Ist Schmuck also ebenso überflüssig, nichtig wie der „Schaum“ auf einem guten Espresso? Für Kaffeegenießer ist die Antwort klar. Für alle anderen heute Abend eine gute Gelegenheit sich einmal auf Schmuck einzulassen.
Die Werkschau Jürgen Prülls mit ausschließlich eigenen Arbeiten seit 1994 bietet hierzu die beste Gelegenheit.
Schmuck ist eine Welt- und eine Lebensanschauung- für den Gestalter wie den Träger.
Für Jürgen Prüll wird Schmuck erst durch den Träger zum Schmuck. Andernfalls bleibt er ein Objekt in der Vitrine. Folglich gehört für ihn das Finden des richtigen Trägers für den Schmuck zum Schmuckmachen. Und manchmal – vielleicht haben Sie das auch schon an sich festgestellt – findet der Schmuck seinen Träger selbst!
Etwas Magie, etwas Mysteriöses, Geheimnisvolles haftet der Werkstatt wie dem Goldschmied schon immer an. Wie in einer mittelalterlichen Alchemistenküche wird auch hier am Unteren Markt noch mit Feuer und Schwefel gearbeitet- und dies natürlich meist nachts, nach den Öffnungszeiten. Die unansehnlichsten, schmuddligsten Metalle verwandeln sich in Gold, Silberringe. Silber wird schwarz oder in buntem Plüsch versteckt. Knochen, liegen neben funkelnden Steinen und Styroporflocken. Es zischt ab und an und manchmal riecht es auch ganz schön übel!
Die Arbeit Goldschmieds mit kostbaren Materialien, seine enormen technischen Kenntnisse (Beherrschung des Feuers) und sein Umgang mit vorwiegend höfischen, adligen oder hohen klerikalen Auftraggebern, begründete schon früh seine Sonderstellung.
Und was bis heute starkes Selbstbewusstsein des Goldschmieds angeht, so liest man schon im Lehrbuch des Sieneser Gießers Biringuccio von 1540 über den Goldschmied und seine Kunst dass sie „eine Kunst von Geist und Genie ist, zu ihrer Ausübung bedarf es, dass man sich als guter Meister bewiesen habe und universell und ein guter Meister in mehreren Künsten sei. Denn unbegrenzt ist die Vielfalt der Arbeiten, die zu vollziehen ihm an die Hand gegeben werden, so dass diejenigen, die mit Gold und Silber arbeiten, genauso wie diese Metalle die übrigen an Würde übertreffen, selbst auch in ihrem Wissen und in ihrer Arbeit die übrigen Handwerker und Künstler übertreffen müssen;...“
(Vonnoccio Biringuccio, „De la pirotechnica“, In: Alessandro Conti, L’evluzione dell’artista, 1979; dt. Der Weg des Künstlers, 1998, S.91)
Zeitgenössisches Kunsthandwerk im 21. Jahrhundert braucht Provokation, braucht „Cross over“, Grenzüberschreitungen, wie meine Kollegin, Dr. Ellen Maurer, es in Ihrer Rede zur Abschlussausstellung der Metallklasse an der Nürnberger Akademie den Absolventen mit auf den Weg gab. Nur so können sie sich gegenüber Massenware und Billigprodukten künftig behaupten.
Im Kern des derzeit ambitioniertesten Museumsbau in Deutschland- der Pinakothek der Moderne in München - die Eröffnung ist am 13. September dieses Jahres - entsteht derzeit eine Schatzkammer für den Schmuck der Moderne. Die Neue Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst, sozusagen das Mutterhaus des Weidener Internationalen Keramik-Museums, ist eines der an diesem Projekt beteiligten Museen. Sie wird hier ein Forum für die moderne Schmuckkunst, mit Schwerpunkt seit 1945 bis heute, schaffen. Ermöglicht wird dies durch umfangreiche eigenen Bestände, großzügige Stiftungen internationaler Schmuckgestalter und Sammler, vor allem aber Dank der Danner- Stiftung.
Damit kann erstmals die Bedeutung Bayerns als eines der international führenden Zentren zeitgenössischer Goldschmiedekunst einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein gebracht werden.
Mit der Entscheidung, nicht nur eigene Arbeiten, sondern auch die anderer Gestalter in seinem Laden zu zeigen und zu vertreten, war für Jürgen Prüll der erste Schritt getan, in Weiden ein Forum zeitgenössischen Schmucks zu etablieren.
Die bewusste Entscheidung für Weiden und nicht Nürnberg, Regensburg oder München als Standort für den mutigen Sprung in die Selbständigkeit ist bei seinem Metier nicht hoch genug zu bewerten. Dank einem unermüdlichen persönlichen Engagement, verbunden mit der eigenen Freude und Lust am Machen, gelingt es auch bzw. besser gerade deswegen, in der sog. „Provinz“, selbst mit aktuellen Strömungen in Kontakt zu bleiben und den Kunden wie Besuchern seines Ladens, seit nun mehr zwei Jahren erfolgreich einen Einblick in das breite Spektrum internationaler, zeitgenössischer Schmuckgestaltung zu geben.
In diesem kurzen Zeitraum hat Jürgen Prüll allein 12 Ausstellungen realisiert, darunter Themen,- Gruppen- und Einzelausstellungen und auch „Nicht-Schmuck-Ausstellungen“, wie die Berliner Hutmacher „Philemon & Baukis“, die Nürnberger Keramikerin Katja Maechtel, Preisträgerin des Bayerischen Staatspreises 2000, den Fürther Glasdesigner Cornelius Réer, der gerade den Ehrenpreis des diesjährigen Dannerwettbewerbs erhalten hat oder das Münchner Designbüro „Cherryblossom“, dessen originelle Kombination von Bademode und Schmuck in diesem Sommer auch in und um Weiden „live“ zu sehen sein müssten.
Weit über 50 renommierte Künstler werden mittlerweile von „Schmuck&Gerät“ vertreten. Arbeiten nahezu aller hier vertretenen Künstler finden sich in den relevanten Sammlungen deutscher Museen und Galerien, darunter natürlich auch Die Neue Sammlung oder die Dannerstiftung München.
Auch im Grafikdesign setzt Jürgen Prüll einen erfrischenden Akzent in Weiden, dank der Nürnberger Werbeagentur Gillitzer.
Und last but not least – wenn Sie erlauben- hat Herr Prüll in diesem Jahr das Jubiläum der Metzgerei Hugo Baierl zum Anlaß genommen – Frau Herkenhoff, die heute leider nur hinter den Kulissen ihrem Amt als „Vernissagenmanagerin“ nachkommen konnte - erstmals einen internationalen Wettbewerb für zeitgenössisches Kunsthandwerk auszuschreiben. *
Die Anmeldung ist noch bis Mitte August möglich, bevor im September im Keramik-Museum eine Jury tagt, die sich sehen lassen kann. Unterlagen in deutsch und englisch gibt es hier.
Das anspruchsvolle Konzept von „Schmuck & Gerät“, eine Mischung aus Werkstatt und Laden, aus Künstlerselbstvermarktung und Galerie, ermöglicht Jürgen Prüll nicht nur interessante Ausstellungen internationaler Schmuckgestalter und Designer zu zeigen., eigene Arbeiten zu entwerfen, zu fertigen und zu verkaufen, sondern auch das komplette Angebot eines Kunsthandwerkers und Gestalters direkt anzubieten: über eingehende Beratung, den Entwurf nach individuellen Wünschen seiner Kunden bis hin zur Reparatur.
Gut 100 Stunden arbeitet auch heute ein Silberschmied beispielsweise an einer handgemachten Kaffeekanne! Den Entwurf nicht eingerechnet.
Archaisches Handwerk und moderne künstlerische Invention- das macht eine große Faszination dieses Berufes aus.„Was man macht ist letztendlich nicht eine Frage der Ideen die man hat, sondern der Entscheidungen,die man trifft“(Prüll)
Wer sich für diese Art von Schmuck und Gerät, im Gegensatz zu Industrie- und Juwelierschmuck interessiert, dem geht es, wie Sie selbst ja sicher wissen, weniger um den Materialwert, als vielmehr um die Idee, die Gestaltung, die Einmaligkeit des Entwurfs, aber auch die Innovation, das individuelle Schmuckstück für die eigene Person. „Schmuck erwerben verlangt ein klares Bekenntnis des Trägers zum Goldschmied und seiner Schmuckauffassung“ (P.Nickl,)
Leider zählt in unserer Gesellschaft meist mehr der Materialwert- deshalb ließ sich Bildung bislang so schlecht verkaufen- mit oft grausamer Konsequenz, wie dies schon Wolfgang Koeppen sein Romanfigur Emilia in seinem Roman „Tauben im Gras“ von 1951 in einem Pfandhaus erleben muß:
„ Emilia hatte silberne Fischbestecke in den Schalter gereicht. Das Renaissancemuster des Bestecks wurde nicht betrachtet, die Kunst des Silberschmieds nicht geachtet, es wurde nach dem Silberstempel gesehen, und dann wurde das Besteck auf die Waage geworfen. Der Fischgang vom reichen Kommerzienratsmahl lag auf der Waage des Leihhauses... Das Besteck wog nicht viel. Die silbernen Griffe waren hohl. Hände von Kommerzienräten, Bankiers und Ministern hatten die Griffe gehalten, hatten sich mit Salm, Stör und Forelle bedient: fette Hände, ringgeschmückte Hände, verhängnisvolle Hände. ...Das Leihamt leiht drei Pfennige für ein Gramm Silberbesteck. Emilia wurde achtzehn Mark und der Pfandschein aus dem Schalter gereicht.“ (S.85/86)
Unter Goldschmied versteht man heute jemand, der ausschließlich Schmuck fertigt, aber natürlich schon lange nicht mehr nur aus Gold oder Silber. Wie im wirklichen Leben haben auch im zeitgenössischen Kunsthandwerk in Europa mittlerweile alle Arten von Materialien Einzug gehalten, gerade auch die „unedlen“ wie Papier, Kunststoff, Beton.
Und Schmuck selbst hat auch formal sehr viele Facetten , vom klassischen Ring bis zur Rauminstallation oder dem Implantat eines Peter Skubic., der als einer der konsequentesten Erweiterer des traditionellen Schmuckbegriffs.
Der Begriff Silberschmied hat ebenfalls weniger mit dem Material, als vielmehr den Gegenständen zu tun. Er fertigt Geräte, d.h. heute vor allem Tischgerät wie Zuckerdosen, Löffel, Dosen und Schalen, Kerzenleuchter, aber auch traditionell sakrale Ausstattungsstücke wie lithurgisches Gerät.
Zu den berühmtesten Werken dieser Kunst gehört das „Salzfaß“ von Benvenuto Cellini, einem „capolavoro“ der Kleinplastik des 16. Jahrhunderts vom Rang der „Capella Sistina“ des Michelangelo. Es handelt sich dabei um ein Prunkgefäß für die Aufnahme des kostbaren Salzes, das sich heute im Kunsthisorischen Museum in Wien befindet.
Cellini verdanken wir übrigens die ersten Künstlermemoiren, die offenherzig und brillant Einblick nicht nur in die Psyche eines Goldschmieds geben, sondern vor allem auch in das Gesellschaftsleben dieser Zeit.
Wer, als ein Goldschmied, könnte das besser tun?
Und um wieder auf die „semplicità““ des italienischen Espressos zurückzukommen – hat man den letzten Schluck genossen, wartet noch der süße Rest, sozusagen die Rückseite der „crema“ auf den Genießer, das starke Zucker-Kaffeekonzentrat.
In diesem Sinn lassen Sie sich vom Schmuck verführen, nutzen Sie die Anwesenheit des Künstlers und genießen Sie den heutigen Abend!.
Dem Künstler lassen Sie uns mit den Worten seines wichtigsten Lehrmeister, dem Gold- und Silberschmied Hermann Jünger, „immerwährende Veränderung und gleichzeitige Treue “ für seine Arbeit und sich selbst wünschen. Und weiterhin viel Erfolg für die wichtige Basis, seinen Laden, aber vor allem viel „ispirazione italiana“ und „disciplina tedesca“ für die kontinuierliche Weiterentwicklung seines eigenes Schmuck und Geräts wünschen.
Grazie mille!
Welche Bedeutung hatte Schmuck im Laufe der Geschichte, welche hat er heute, welche für Jürgen Prüll?
Das Bedürfnis des Menschen, sich und seine Umgebung zu schmücken, war zu allen Zeiten bei allen Völkern vorhanden. Aus der Jungsteinzeit ist Schmuck aus Stein, Knochen und Zähnen erhalten. Aus Ägypten kennt man Schmuck aus Metall, der im 2. Jahrtausend vor Christus entstand.
Die Funktion und Aufgabe von Schmuck war religiösen und magischen Ursprungs, Ausdruck und Zeichen des gesellschaftlichen Standes, aber auch schon immer Schmuck in seiner eigentlichen Bedeutung.
Diese vielfältige Bedeutung hat sich über die Jahrtausende erhalten – in allen Kulturen. Wenngleich die Gewichtung heute vielleicht eine andere ist. Aber noch heute tragen viele Menschen als Zeichen ihres Glaubens ein Kreuz am Hals und ist Schmuck oft ein Signal des gesellschaftlichen Standes und dient zu Repräsentationszwecken.
Nun wird niemand diesen Laden betreten, um sich ein Schmuckstück zu kaufen, mit dem er draußen sagen kann: Seht her, ich bin reich, ich bin größer und wichtiger als andere. Aber er will vielleicht etwas anderes sagen oder ausdrücken.
Mit Schmuck wollen wir nicht nur einfach unser Äußeres verschönern. So wie man in einer Laune ein Paar Schuhe kauft, weil sie gut zum Kleid passen. Schmuck soll Ausdruck unserer Gefühle, unserer Einstellung sein. Und er soll unser Selbstwertgefühl steigern. Das geht meist beim Kauf schon los: Selten ist einer zum Schmuckkaufen aufgelegt, wenn er sich gerade nicht gut fühlt. Sogenannte Frustkäufe dürften selten sein (und wären auch hinausgeworfenes Geld). Man will sich ganz bewußt etwas gutes tun und muß dazu auch gut drauf sein.
Und dann will man dieses positive Gefühl auch anderen zeigen – wer kauft sich schon Schmuck, um ihn daheim im stillen Kämmerlein zu tragen?
Schnell ist man bei sehr persönlichen Fragen: Was paßt zu mir und meinem Typ? Was werden die anderen sagen? Werden sie mich richtig einschätzen mit diesem Schmuckstück? Oder wird man mich für jemanden halten, der ich gar nicht bin? Will ich dies vielleicht sogar, mich also verstecken hinter diesem Schmuck? Soll der Schmuck gar nicht weiter auffallen, also dezent sein, oder will ich sagen: Seht her! In mir steckt noch ein anderer Typ. Oder: Ich habe mich verändert, und alle sollen das sehen.
Der potentielle Schmuckkäufer ist also nicht in einer alltäglichen Lebenssituation. Er steht nicht in der Bäckerei und überlegt sich: Will ich jetzt Weißbrot oder Schwarzbrot? Er steckt in einer für ihn außergewöhnlichen Situation. Ausnahmezustand sozusagen. Da wird der Laden schnell zum Beichtstuhl, der Goldschmied schnell zum Psychologen oder wenigstens zum Typberater.
Das erfordert vom Goldschmied viel Feingefühl – und davon hat Jürgen Prüll reichlich. Zuhören, beraten, sich Zeit nehmen, interpretieren und deuten. Das hat wenig zu tun mit einem »Verkaufsgespräch«, Jürgen Prüll einen Verkäufer zu nennen wäre eine Beleidigung.
Schönen Schmuck zu machen ist das eine. Diesen an den Mann oder die Frau zu bringen – und diese vor allem damit glücklich zu machen – das andere.
Die gestalterischen Fähigkeiten von Jürgen Prüll sind unbestritten. Wären diese aber die einzigen, dann wäre er »nur« ein Künstler. Ein Künstler bringt sich selbst in seinen Werken zum Ausdruck und kümmert sich wenig um den Rest – soll kaufen, wer mag oder es auch sein lassen. Es gehört mehr dazu. Jürgen Prüll sieht seine handwerkliche und künstlerische Tätigkeit nie isoliert. Immer tritt sie in Aktion zum Menschen, seinen Proportionen und seiner Persönlichkeit.
Es sind dies eigentlich die klassischen Talente eines guten Gestalters, die leider aus der Mode gekommen sind. Postmoderner Designschnickschnack ist heute die Gängigkeit – auch beim Schmuck. Ein bißchen extravakant, aber nicht zu arg und Hauptsache aus Platin. Gute Gestalter sehen über ihren Topfrand hinaus, und ihnen ist wichtig, das ihre Arbeit das Leben anderer bereichert, und sie sind sich dieser Verantwortung bewußt. Bei Jürgen Prüll zeigt sich dies auch in dem Umstand, daß er demnächst einen Kurs an der hießigen Volkshochschule abhält, und daß er im Sommer für einige Zeit seinen Laden dicht macht, um als Assistent an der Seite der international bekannten Schmuckgestalterin Erico Nagai ein sechswöchiges Seminar in Salzburg durchzuführen. Daß Erico Nagai mit diesem Anliegen auf Jürgen Prüll zukam, ist im übrigen Beweiß genug für die künstlerischen Fähigkeiten von Jürgen Prüll.
Daß Jürgen Prüll über diesen Topfrand hinausblickt, zeigt sich auch darin, daß regelmäßig andere Schmuck- und Gerätegestalter in seinem Laden ausstellen. In diesem Jahr ergab dies beachtliche 7 thematische Ausstellungen. Inzwischen sind es immerhin 44 Künstler, deren Arbeiten hier erworben werden können. Dabei will er nicht nur das Spektrum seines Angebots erweitern, sondern sich auch selbst offen halten für Einflüße von außen. Daß er damit mit seinen wenigen Quadratmetern zu einem beachtlichen Kulturort in Weiden geworden ist, gibt ihm Recht und ist eine nur gerechte Belohnung und Anerkennung.
Wolfgang Gillitzer