Ausstellung 17 . Erico Nagai . Schmuck 1993-2003
PRÜLL Schmuck & Gerät . Weiden . 21.9.-25.10.2003
Einführung: Monika Goedl
NICHTS KANN UNVERWANDELT GERETTET WERDEN
Th.W. Adorno
Sie haben sich hier am Sonntagabend eingefunden, um Schmuck anzuschauen, Schmuck der Japanerin Erico Nagai. Erico Nagais Schmuck wird Sie bezaubern, uns allen ist es so ergangen.
Ich werde später darauf eingehen.
Die Einzigartigkeit von Erico Nagais Schmuck zeigt sich vielleicht am besten im Vergleich mit den Münchner Fünf, den ehemaligen Hermann Jünger Schülern an der Bayerischen Akademie der Bildenden Künste, zu denen Erico Nagai gehört. Die sog. Münchner Fünf stehen in der vordersten Linie der internationalen zeitgenössischen Schmuckszene.
Um vorab Position und Stellenwert von Schmuck überhaupt zu beleuchten, möchte ich Sie - notgedrungen sprunghaft - an einige Aspekte und historische Fakten erinnern.
Aktueller Schmuck kann in drei Gruppen klassifiziert werden.
Den quantitativ breitesten Raum nimmt der Juwelierschmuck ein. Armin Zweite beschimpft ihn unzweideutig knallhart als Juwelierschrott, weil technisch zu perfekt und deshalb kalt und seelenlos. Eine ganz andere, große und wichtige Gruppe bildet der Modeschmuck, der immer wieder eine Vorreiterrolle und auch eine Trittbrettfahrerrolle spielt gegenüber der dritten und wichtigsten Gruppe, um die es heute Abend geht, dem Kunstschmuck.
Die drei Kategorisierungen beleuchten schlagartig die Problematik des Goldschmiedehandwerks. Aber diese Qualifizierungen waren bis zur Renaissance kein Thema. Erst in der Renaissance beginnen Goldschmiede in der Hierarchie der Künstler immer tiefer zu sinken. Dazu Armin Zweite: Immerhin kamen noch Künstler wie Donatello, Ghiberti, Uccello, Verrocchio, Ghirlandaio, Botticelli u.a. aus Goldschmiedewerkstätten, die zu Recht die eigentlichen Kunstschulen des Quattrocento genannt werden. Im 16 Jh. trennt sich mit zunehmender Spezialisierung die sog. Hohe Kunst vom
Goldschmiedehandwerk, der sog. angewandten Kunst.
Nur Benvenuto Cellini kann sich trotz Anfeindungen noch als Goldschmied UND Bildhauer behaupten. Danach gerät das europäische Goldschmiedehandwerk ins Ghetto. Pejorative Stichworte des 19. Jh. zum Schmuckghetto wie Kunsthandwerk, Kunstgewerbe, Dekorative Kunst, Angewandte Kunst etc. stehen stellvertretend für eine komplizierte, weitverzweigte Geschichte. Erst im Verlauf des 20. Jh. wird Schmuck diesem Ghetto partiell und stufenweise entkommen.
Schon 1895 wird Henry van de Velde sagen „Leben ohne Schmuck ist kein wahres Leben“ und meint damit Kunst als wundersamsten Schmuck des Lebens. Das bedeutete vice versa Schmuck ist Kunst. Sein Schmuckoeuvre, der Jugendstilschmuck generell, liefert die Beispiele.
Die frühen magischen und rituellen Eigenschaften des Schmucks sind in den westlichen Kulturkreisen irreversibel verloren. Amulette aus prähistorischer Zeit, ab circa 40 - 30000 Jahren vor Chr., haben sowohl magische als auch schmückende Funktionen, so Claude Lévi-Strauss. In seinem berühmten Opus „Philosophie der symbolischen Formen“ ruhen für Ernst Cassirer in den Anfängen Kunst, Schrift, Recht, Wissenschaft noch in der unmittelbaren und ungeschiedenen Einheit des mythischen Bewusstseins, werden Potenzen und Kräfte noch dämonisiert und vergöttlicht. Die magische Weltauffassung ist durchdrungen vom Glauben an Wesen und Kraft der Zeichen. Wortzauber, Bildzauber, Schriftzauber liegen der magischen Weltsicht zugrunde. Den magischen Abwehrzauber fetischartiger Amulette bewirken Jahrtausende lang Tierzähne und Tierknochen, Horn, Krallen, tropisch bunte Federn, glänzend polierte Steine. Die Kraft steckt im Trivialen (Malidoma Patrice Somé).
Aber sobald es entdeckt ist, avanciert das Gold zum Träger überirdischer Kraft und Lebensspender höchsten Ranges,
die Materie wird zur Form gewordene spirituelle Schönheit (Somé).
Die älteste heute bekannte Goldförderung und -bearbeitung findet im 5. Jahrtausend v. Chr. im heutigen Bulgarien statt. 1972 wird in Varna am Schwarzen Meer in der Nekropole eines unbekannten Volkes eine unvorstellbare Fülle von Anhängern, Pektoralen, Ohrringen, Armbändern in getriebenem Gold entdeck, die stilistisch zum alten vedischen Indien zu gehören scheinen. Ältesten indischen Texten nach ist Gold der Keim des als göttlich verehrten Feuers und ein irdisches Symbol der Sonne. Auch für Ägypten ist seit dem 4. Jt. v. Chr. Gold leuchtende unzerstörbare Materie der Sonne.
In Afrika z. B. gibt es immer noch Nischen, in denen Magie und Ritus im Schmuck aus Naturmaterialien und aus Gold lebendig sind.
Vergleichen wir die beschriebenen Uranfänge des Schmucks mit heute ist eine neue Sinnlichkeit, Intensität und Strahlkraft zu entdecken,
die auf einer anderen Ebene mit der alter Stücke konkurrieren können. Ihre Reinheit existiert freilich pur, als l´art pour l´art, ohne mythischen, sprich religiösen Hintergrund. Die Intentionen sind den archaischen entgegengesetzt, kommen von der anderen, der intellektuellen Seite.
Anstelle des Begriffs Magie ist der Begriff Psyche getreten, die den Zugang zum schöpferischen Unbewussten herstellt, das freilich nach C.G. Jung von Archetypen gesteuert wird. Denn was ist Magie anderes, als die psychische Fähigkeit, Gefühle und Energien so zu konzentrieren, dass sich Ergebnisse auf der sichtbaren Ebene, einem Schmuckstück z. B., einstellen, ebenso einstellen wie bei einem anderen nicht zweckgebundenen Kunstobjekt.
Nach diesem Exkurs sehen wir Schmuck vielleicht mit anderen Augen.
Zur schon genannten Gruppe der Münchner Fünf gehören neben
Erico Nagai Hubertus von Skal, Daniel Kruger, Gerd Rothmann und
Otto Künzli. Otto Künzli hat mit seiner roten Herzbrosche und seinem weißen Mickey-Mouse-Anhänger aus Kunststoff als Analytiker, Spötter und Tabubrecher Furore gemacht. Auch Gerd Rothmann fällt mit seinen goldenen und silbernen „Hautstücken“ aus unserem selbstgewählten Rahmen. Stattdessen möchte ich den Paduaner und Fastmünchner Giampaolo Babetto einbeziehen.
Hubertus von Skal, der sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, hatte sich zuletzt in den 80ern und frühen 90er Jahren dem Ring,
der vermutlich ältesten Schmuckform, zugewandt.
Seine Ringe sind von so prononcierter Rigidität, dass sie immer noch hochaktuell, ja avantgardistisch sind. Durch formale Auszehrung der Um- bzw. Binnenrisse und immaterielle Steinfarben erreicht er einen Abstraktionsgrad von gebändigter Emotion, der bis zur Lebensferne geht.
Im krassen Gegensatz zur Einfachheit Hubertus von Skals steht die wilde Originalität Daniel Krugers.
Daniel Krugers Armbänder, Ohrringe, Broschen, Kolliers aus Gold oder Silber halten sich an die traditionellen Formen, unterlaufen sie aber durch scheinbar unfertige Spuren des Machens.
In Wirklichkeit ist die „Unfertigkeit“ kalkuliert. sie wird in einem interessanten Zustand fixiert, der die Phantasie in Gang setzt,
die Vollkommenheit selbst zu suchen. So wird Spannung provoziert.
Auch seine Edelsteine, z. B. Rohdiamant und Rubin, der Kieselstein und vor allem die Glasscherbe konterkarieren als zufälliges Bruchstück, das Unvollkommenheit suggeriert, unsere Vorstellung.
Sie erscheinen archaisch. Archaischer Schmuck, wie er bis heute, oder sollte ich sagen bis vor kurzem, in anderen Erdteilen wie der Südsee überdauert hat, strebt aber vollkommene Regelmäßigkeit an. Daniel Kruger übersetzt Archaik spontan ins scheinbar naiv Kindliche,
er archaisiert und treibt ein verwirrendes Spiel mit unseren Sehnsüchten nach Ursprünglichkeit, das von meisterhafter Raffinesse zeugt. Es wäre interessant, Daniel Krugers Schmuck unter dem Aspekt der Ursprünglichkeit mit Schmuck von Alexander Calder oder Dorothea Prühl zu vergleichen.
Obwohl sie auf den ersten Blick minimalistisch unterkühlt wirken, offenbaren Giampaolo Babettos Arbeiten bald ihre Leidenschaftlichkeit, die ihr Faszinosum ausmachen.
Die Konzentration auf knappste elementar geometrische hohle Goldkörper, die sich überlappen, durchdringen, verkannten, mit Blechen abwechseln und gleichzeitig durch kühne Verschneidungen und Asymmetrien auch wieder gegen pure mathematische Prinzipien verstoßen, scheinen wie im Sturm mit großer Schnelligkeit ineinander gestoßen. So entstehen scharfe Kanten und Spitzen, die Träger und Gegenüber bei raschen unbewussten Bewegungen verletzen.
Ein Plus an Energie bringen Yves-Klein-starkes Blau und Rot
in Kunstharz oder samtartig pulvrig aufgetragenem Pigment;
ein Plus an Dynamik die Schleifspuren auf dem Gold, die davon zeugen,
wie Giampaolo Babetto, das hat er einmal Erico Nagai und mir in seiner sanften Art gestanden, seine Aggressionen abreagiert.
Wie konträr dagegen die fließenden, geschmeidigen Silber- oder Eisenhalsgehänge von Tone Vigeland, die sich dank hunderter kleinster Tropfen, Kügelchen, Plättchen sanft anschmiegen und flexibel den Körperbewegungen anpassen - inspiriert von indischen Geschmeiden.
Die wenigen Aspekte, die wir aus dem typischen Formenkanon von Hubertus von Skal, Daniel Kruger und Giampaolo Babetto herausgegriffen haben, schärfen den Blick für Erico Nagais Schmuck, von dem hier eine einzige Werkphase ausgestellt wird. Erico Nagai hat in einem Gespräch anlässlich der Weidener Ausstellung beherzt die Gleichzeitigkeit ihres übersprudelnden Ideenreichtums, den sie seit zehn Jahren umsetzt, akzeptiert und beschlossen, auch in Zukunft so vielseitig weiterzuarbeiten, mehrere Linien zu verfolgen.
Ebenso wichtig wie Handschrift und Stilelemente sind ihr nämlich die Inhalte: Globalisierung und Multikulturalität in ihrer gesamten Historie faszinieren sie als Zukunftsvision.
Sie öffnen neue Wege, fordern sie zum spontanen Reagieren und Handeln heraus.
Neben sinnlich sanft gerundeten Ohrclips, Broschen, Ketten aus satt gestelzten Ovalhälften - überzogen mit mattschwarzem oder -rotem Urushi Lack und/oder verhalten rauh glänzenden Goldflächen, neben diesen in sich ruhenden Schmuckformen entstehen so expressiv gegliederte und geschnittene wie die hier in der Ausstellung gezeigten.
Kleine Röhren, Stück für Stück aus Goldplättchen geschmiedet,
lassen an Schilfhalme denken, die das Baumaterial für die kunstvollen Schilfarchitekturen im Zweistromland liefern. Röhrchen bzw. Halme zu „Wandflächen“ aneinandergereiht, in flache Kreisringe zerschnitten zum Plafond zusammengespannt, auch von einem zweiten, leicht aus der Achse verschobenen überlagert, sodass komplizierte geometrische Bilder entstehen; Rohre zu Arkaden gebogen, die sich um den Finger legen; so kann ein Ring, ein Ohrclip von der einen Seite massiv und hermetisch verschlossen, von der anderen wie ein leichtes, verspieltes Gitter optisch davon schweben.
Burg, Tempel, Schloß, Zelt, Hortus Conclusus.
Schräg bis diagonal aus einem „Halmbündel“ gesägt und gefeilt, formieren sich Blüten, Welle, Blätter aus verschieden großen Ellipsen. Der Ring, der sich kuppelförmig über drei Finger legt, geht mit „Pendentifs“ in den Fingerring über.
Diese verwirrend reichen Architekturphantasien, die immer wieder reizen, das einfallsreiche System zu enträtseln und ihre Schönheit zu bestaunen, sind Erico Nagai nicht genug.
Sie schmückt den Schmuck mit Perlen, glänzenden oder matten Edelsteinkügelchen in Rot, Blau, Grün, deren sanftes Leuchten vom matten Schimmer des Goldes intensiviert wird. Japanischer Urushi
Lack oder Email spielen zusätzlich mit den Edelsteinfarben, dem Gold.
Burgen, Tempel, Schlösser, Zelte, Horti Conclusi.
Eine Fata Morgana aus orientalischen Märchen?
Luxus aus purer Phantasie?
Im Sonnenlicht auf meinem blanken Schreibpapier lösen sich diese kleinen Wunderwerke in ein bizarres Spiel von Licht und Schatten auf. Fabelwesen, die wie durch einen Zauberstab zum Leben erwachen und ebenso leise wieder im Dunkel verschwunden sein werden.